Die pantherischen Dialoge
Ein Theaterstück über einen menschlichen Panther und andere Randgestalten, die in dunkler Gasse Dialoge führen.

KLAPPENTEXT
Da ist ein Mann, der wildfremde Menschen anspricht - er möchte mit ihnen Dialoge führen. Doch worüber, das ist ihm ganz egal. Dieser Mann nennt sich Panther - aber, wie er selbst sagt: Er ist keiner.
Wenig verwunderlich also, dass er auf kein Verständnis trifft, dasss niemand mit ihm sprechen möchte, dass er sich zuletzt in eine vermüllte Seitengasse zurückziehen muss. Doch gerade, als ihm scheint, er müsse ewig alleine bleiben, trifft er auf den unglücklichen Thomas, der nach etwas Überredungsarbeit tatsächlich bereit ist, ihm zuzuhören und mit ihm zu sprechen.
Bald tauchen andere, höchst seltsame Gestalten auf, die Panther mal mehr, mal weniger wohlgesonnen sind - nicht zuletzt die drei mysteriösen Crackhuren, die ihn regelrecht heimzusuchen scheinen. Doch sie alle haben eines gemeinsam: Sie sprechen mit ihm. Und führen mit ihm - Die pantherischen Dialoge.

Dramatis personae
Panther
Anzugträger
Kundin
Hotdogverkäufer
Thomas
Crackhure Eins
Crackhure Zwei
Crackhure Drei
Kommissar
Wolf
Dumme Professorin
Altes Kind
Unlustiger Clown
Neun Anhänger
Gesichtsleserin
AKT 1
Szene 1
Eine verlassene Straße. Heruntergekommene Häuserfassaden einer Großstadt im Hintergrund. Schwaches Licht. Das Licht wird heller, Scheinwerferlicht auf PANTHER, der leger an die Wand gelehnt steht. Aus dem Off ist eine Handvoll schiefer Klaviernoten zu hören. PANTHER trägt einen Stetson-Hut, weißes Hemd, darüber dunkelrote Weste, darüber schwarzer Staubmantel. Er tastet seine Taschen ab, flucht, findet schließlich eine Packung Zigaretten. Eine Zigarette holt er heraus, den Rest steckt er wieder weg. Die Zigarette betrachtet er eine Weile in seinen Fingern, entschließt sich schließlich, sie zu rauchen. Wieder tastet er seine Taschen ab, flucht, findet schließlich ein Feuerzeug, zündet die Zigarette an, zögert, steckt sie sich dann in den Mund. PANTHER spuckt die Zigarette fast sofort aus und muss husten.
PANTHER
Pfui Teufel! Ich rauche nicht einmal. Warum habe ich das gemacht? Es nützt alles nichts, egal, wie oft ich es versuche. Ich passe nicht in das Gesamtbild. Also auf ein Neues. Alles, wie gehabt. Abwarten und Tee trinken. Heda! Tee schmeckt mir auch nicht. Das ist ja das Dumme dabei. Also nur Abwarten, ohne Tee. (lauscht) Da kommt einer! Bühne frei!
GESCHÄFTSMANN betritt von rechts die Bühne, Aktentasche in der Hand. Er erblickt PANTHER, bleibt kurz stehen, dann geht er zügigen Schrittes an ihm vorbei
PANTHER
Ich bin eine tödliche Raubkatze, die listig durch den Dschungel streift.
GESCHÄFTSMANN bleibt stehen, sieht sich nervös um.
GESCHÄFTSMANN
Was?
PANTHER
Nun, mein Name ist Panther.
GESCHÄFTSMANN, sehr nervös
Ah?
PANTHER
Aber ich bin keiner.
GESCHÄFTSMANN
Aha.
PANTHER
Das kannst du mir ruhig glauben.
GESCHÄFTSMANN, ausgesprochen nervös
A- Absolut. Ich glaube dir schon… Panther.
PANTHER
Schön, schön. Also sag mir, mein Freund, kann ich dir etwas anbieten?
PANTHER sieht aus, als würde er in der Innenseite des Staubmantels Drogen verstecken und sie dem Geschäftsmann jeden Augenblick zeigen.
GESCHÄFTSMANN, auf Panthers Hände starrend
Ach so, ähm, vielleicht? Ich meine nein. Ich meine - was hast du denn anzubieten… Panther?
PANTHER
Na, mein Herr Anzugträger. Genau das, was du brauchst, wenn du verstehst, was ich meine. (Pause) Ein Gespräch in dunkler Gasse. Einen Dialog!
GESCHÄFTSMANN
Oh.
PANTHER
Dein Schaden soll es nicht sein.
GESCHÄFTSMANN, peinlich berührt
Ich passe. Ich muss weiter. Mit Wildkatzen spreche ich nicht.
GESCHÄFTSMANN setzt sich in Bewegung.
PANTHER
Wildkatze? Ich hab’ doch gesagt, ich bin kein Panther, ich heiß’ bloß so! Heda, Mann, du hörst wohl schlecht?
GESCHÄFTSMANN ignoriert ihn, erreicht den linken Bühnenrand und verschwindet. PANTHER seufzt und nimmt den Stetson-Hut in die Hände.
PANTHER
Das ist ein übles Schicksal. Der schien mir doch ein gescheiter Mann zu sein. Pah, sage ich, der war zu gescheit. Es gibt solche und solche, und solche haben Angst vor solchen. Nein, der Kerl war mir zu gescheit. Dem haben die Eltern gut beigebracht, nicht mit fremden Gassenlungerern wie mir zu sprechen! Er ist einer von den Vielen. Das kenne ich schon. Also: Wohl bekommt’s! Der nächste, bitte!
PANTHER setzt den Hut wieder auf, zieht ihn sich tiefer ins Gesicht und geht rechts von der Bühne.
Szene 2
Ein Imbisswagen an der rechten Bühnenseite, bedient von HOTDOGVERKÄUFER. Eine KUNDIN spricht mit dem HOTDOGVERKÄUFER und kauft sich einen Hotdog. PANTHER betritt links die Bühne und schleicht sich an den Imbisswagen heran, während die KUNDIN in ihrer Handtasche nach Geld kramt.
PANTHER
Da ist ein Mensch, da ist eine Frau. Die muss bestimmt nett sein, sie hat solche Gesichtszüge, gütige Gesichtszüge. Die leiht mir bestimmt ihr Ohr. Denn große Ohren hat sie, die sind gut zum Hören!
KUNDIN nimmt den Hotdog entgegen.
PANTHER
Oh, da hat sie die letzte Münze beisammen und nimmt ihr Essen entgegen. Schon macht sie sich auf den Weg. Jetzt oder nie, Panther!
PANTHER staubt sich die Hose ab, rückt sich den Hut zurecht und geht lächelnd zur KUNDIN.
PANTHER
Heda, ein angenehmes Wetter, nicht?
KUNDIN
Was?
PANTHER
Das Wetter. Es ist angenehm, oder nicht?
KUNDIN, verdutzt
Ich kenne Sie überhaupt nicht.
PANTHER, etwas verärgert
Nein, natürlich kennen Sie mich nicht. Woher auch! Das habe ich nie behauptet! Aber darum geht es doch auch gar nicht. Es geht um das Wetter! Das Wetter kennen Sie doch! Sagen Sie, ist es nicht angenehm, das Wetter?
KUNDIN
Das Wetter, was geht mich das Wetter an? Was wollen Sie eigentlich von mir?
PANTHER
Ich will überhaupt nichts nehmen, mit Verlaub, sondern nur geben! Ein Geschenk machen. Gratis!
KUNDIN, misstrauisch
So, ein Geschenk?
PANTHER
Genau. Ein Geschenk!
KUNDIN
Und was soll dieses Geschenk sein? Wo wir uns doch gar nicht kennen?
PANTHER
Ein Dialog! Was sagen Sie? Ihr Schaden soll’s nicht sein. Wir fangen ganz entspannt mit dem Wetter an, und wer weiß, wohin es uns am Ende verschlägt? (zwinkert ihr zu)
KUNDIN, Abstand nehmend
Ich werde jetzt gehen und Sie werden mir nicht nachstellen. Ich kann sehr laut schreien. Und ich habe Pfefferspray. Kusch, kusch!
KUNDIN geht eilig davon.
PANTHER, perplex
Wieder das gleiche. Was ist denn das für eine Stadt? Was für Menschen? Keine Menschenseele will einen vernünftigen Dialog mehr führen. ‘Euer Schaden soll’s nicht sein’, sage ich ihnen, aber ich fürchte, den Schaden haben sie schon von vornherein. Sonst würden sie ja ein gutes Gespräch nicht ausschlagen. Ein gutes Gespräch sagt mehr als tausend Worte. Aber nein. Das betrübt mich sehr, wirklich sehr. Klar, es gibt die Vielen, aber wenn ich so viele Leute anspreche, müsste doch wenigstens einer von den Wenigen dabei sein. Die Wahrscheinlichkeit gebietet es! Pah! Das nenne ich einen Tag, den ich habe. Viele Lästigkeiten, aber keine Dialoge! Dabei haben sie doch alle einen Mund, nicht wahr? Der hat Zähne zum Kauen und eine Zunge zum Schmecken. Und Lippen zum Küssen! Die darf man nicht vergessen, die Lippen!
Aber zusammen sind diese drei Dinge eines: Ein Mund zum Sprechen! So ein einfacher Schritt, aber doch ein Schritt zu viel für diese Vielen. Pah! Ich muss mich vor ihnen bald mehr ekeln als vor ihrem Abfall. Ich bin ein trauriger Pant-
HOTDOGVERKÄUFER, ihn unterbrechend
Mister.
PANTHER
Was?
HOTDOGVERKÄUFER
Mister, sagte ich. Wollen Sie nun etwas kaufen oder nicht?
PANTHER
Nicht unbedingt.
HOTDOGVERKÄUFER
Dann lungern Sie nicht so herum, das verscheucht die Kundschaft.
PANTHER
Ich will bloß ein Gespräch führen. Einen Dialog. Haben Sie schon einmal so etwas gehört? Einen Dialog? Sind Sie daran interessiert?
HOTDOGVERKÄUFER
Nicht, wenn Sie nichts kaufen.
PANTHER
Ich habe kein Geld bei mir.
HOTDOGVERKÄUFER
Dann müssen Sie gehen. Ist mir auch lieber so. Mir gefällt es nicht, wie Sie aussehen.
PANTHER
Wie sehe ich denn aus, wenn ich fragen darf?
HOTDOGVERKÄUFER
Na, so eben.
PANTHER
Nein, ich bitte recht schön, wie sehe ich denn aus? Sagen Sie es ruhig.
HOTDOGVERKÄUFER
Na, so eben. So wie ein wildes Ding. Ihre Augen gefallen mir nicht. Ganz und gar nicht. Der Mantel stinkt bis hier und der Hut ist eingedrückt. Wie ein Tier sehen sie aus, wenn ich es mir recht überlege.
PANTHER
Ein Tier? Was denn für ein Tier?
HOTDOGVERKÄUFER
Ich muss denken. Was gibt es denn? (Pause) Das ist es. Der Herr sieht aus wie (Pause) ein Waschbär, der sich nicht gewaschen hat. Genau. Ein Waschbär.
PANTHER, perplex
Ein Waschbär?
HOTDOGVERKÄUFER
Sie wollten es hören.
PANTHER, niedergeschlagen
Stimmt schon. Also, ich bin weg.
PANTHER geht ein paar Schritte nach links.
PANTHER, zu sich selbst
Ein Waschbär! Ein Waschbär! Mir scheint, ich müsste mich übergeben. (fasst sich ans Herz, sackt auf die Knie und atmet schwer) Ein Waschbär sagt er. Eins und Zwei und Drei. Ein Waschbär. Drei, Zwei, Eins. Das ist schlecht. Das ist sehr schlecht.
PANTHER würgt, aber es kommt nichts heraus. Einen Moment bleibt er so, auf allen Vieren. Er wischt sich schließlich den Mund ab und rafft sich wieder auf.
PANTHER
Der Panther ist heutzutage von einem Waschbären nicht mehr zu unterscheiden. Schlimme Tage. (an HOTDOGVERKÄUFER gewandt) Dann wühle ich eben im Müll, aber zumindest bin ich nicht selbst welcher! Wohl bekomm’s!
PANTHER links von der Bühne.
HOTDOGVERKÄUFER, kopfschüttelnd
Sachen gibt es. Und Menschen auch. Früher hätte so einer wenigstens gebettelt. Ich werde zu alt für sowas.
Szene 3
Eine Gasse; zentral steht ein Müllcontainer, ringsherum liegen prall gefüllte Müllsäcke.
THOMAS betritt die Bühne von rechts. Mit hängendem Kopf schlurft er die Gasse entlang.
THOMAS
…Ich habe einfach kein Glück. Schon wieder bin ich hier am Ausgangspunkt und stehe alleine da. Die Frauen haben sich mein Leben lang von mir abgewandt. Nun, außer natürlich Nina und Simone und - aber darum geht es nicht. Ich stehe wieder alleine da. Sie mögen alle mein Gesicht nicht, daran muss es liegen! (bleibt stehen) Muss es einfach! Die Mutter hat immer schon gesagt, die Augen sind zu weit auseinander. Natürlich hatte sie recht! Und dass meine Nase zu krumm ist. Und die Stirn zu hoch, der Haaransatz zu spät. Der Mund ist schief, die Augen irrig. Die Mutter weiß, was sie sagt, sie muss es wissen, schließlich hat sie - Kräfte, oder wie man das nennen soll. Ich verstehe es selbst nicht recht, aber ich weiß, es ist so. Sie nennt sich eine Gesichtsleserin. In Gesichtern kann sie wesentliche Eigenschaften lesen, sagt sie. Und bei mir liest sie - Hässlichkeit. (Pause) So oder so, sie hat recht. Ich bin völlig entstellt! Also einen Menschen nennen sie mich? Wenn überhaupt, ein ausgesprochen hässlicher! Was in der Praxis ja doch nichts anderes als ein Monster ist. (lacht bitter) Ein Monstrum! Gut, ich nehme die Schritte in die Hand. Da muss man was machen, so kann ich mich ja nicht blicken lassen. Das Schicksal meint es eben nicht gut mit mir. Ich bin ein Ausgestoßener und in der Gesellschaft - da ist kein Platz für mich. Wie denn auch, ich halte mein eigenes Spiegelbild kaum aus. (horcht) Was höre ich da? Ist da wer? Da ist Lärm im Müll. Was wühlt da?
PANTHER miaut im Container.
THOMAS
Eine Straßenkatze! Na dann! Solange es kein Monster ist! Pah! Das würde ich gerne sehen, wie ein Monster da herausspringt und mich erschrecken will. Ha! Das würde mich ansehen und sich selbst erschrecken! Kein Wunder bei dieser Fratze oberhalb von meinem Hals!
PANTHER miaut eindringlicher.
THOMAS
Aber Straßenkatzen? Die interessieren sich nicht im Detail für mich! Für die sehen alle Menschen gleich aus - Gleich hässlich. (geht in die Hocke) He, Kitty Kitty, willst du nicht gestreichelt werden? Willst du nicht einen Menschen sehen, der völlig, absolut normal aussieht? Der dir nichts Böses tut? Kitty, Kitty?
PANTHER streckt seinen Kopf hervor.
PANTHER
Heda! Du bist mir einer!
THOMAS erschreckt sich und fällt hinterrücks hin.
THOMAS
Rah!
PANTHER, aus dem Container steigend
Sachte, sachte. Einen schönen Monolog führst du da! Ja, ganz recht, ich habe das schon gehört, wie du dich beklagt hast. Ein echter Monolog, wenn ich ich je einen gehört habe. Hast du mal daran gedacht, ins Theater zu gehen?
THOMAS
Was zum Teufel bist du für einer!?
PANTHER verbeugt sich und nimmt dabei den Hut vom Kopf.
PANTHER
Mein Name ist Panther.
THOMAS
Aha.
PANTHER
Aber ich bin keiner.
THOMAS
Mhm. Achso.
PANTHER
Neuerdings sagte man mir auch, dass ich als Waschbär durchgehen kann. Was ich aber für unfassbar lächerlich halte.
THOMAS steht langsam auf, ohne Panther aus den Augen zu lassen.
THOMAS
Selbstverständlich. Das leuchtet ein.
PANTHER
Das freut mich wirklich sehr. Vor allem, weil du trotzdem dachtest, dass ich eine Katze bin. Du hast gesagt ‘Eine Straßenkatze!’, weißt du noch? Das erleichtert mich ungemein, weißt du? Weil ich schließlich Panther bin und der Panther eine Wildkatze ist. Da kommt die Straßenkatze schon recht nahe dran. Sag mal, wie heißt du überhaupt?
THOMAS, zwei Schritte zurück machend
Mein Name ist Thomas.
PANTHER
Freut mich.
THOMAS
Und ich rufe jetzt die Polizei.
PANTHER
Was!
THOMAS zückt ein Klapphandy aus seiner Hosentasche und beginnt zu tippen.
PANTHER
Wieso! Verrat! Du weißt nicht, was du tust!
THOMAS, innehaltend und aufschauend
Na, ich rufe die Polizei. Genau das tue ich.
PANTHER
Einfach so? Ohne mit mir zu sprechen? Lass uns doch darüber sprechen! Einen Dialog! Das ist ein Monolog, aber zu zweit, also zwangsläufig besser!
THOMAS
Dialog? Worüber? Ich spreche nicht gerne mit Wahnsinnigen. Oder mit wahnsinnigen Katzen.
PANTHER
Panthern!
THOMAS
Mit denen auch nicht. Bleib mir ja vom Leib! (zu sich selbst) Verflucht! Was ist die Nummer der Polizei? Ich kann es mir nie merken. Das ist mein ganzes Glück - schon drei Zahlen sind zu viel für meinen Kopf. Wenn er bloß nicht so hässlich wäre!
PANTHER macht einen Satz nach vorne.
PANTHER
Das kann ich nicht zulassen, Thomas!
PANTHER reißt THOMAS das Handy aus der Hand.
THOMAS
He!
PANTHER
Und jetzt reden wir erstmal.
THOMAS
Gib mir mein Handy zurück!
PANTHER
Heda! Wir reden jetzt erstmal.
THOMAS
Worüber? Worüber? Du Schuft! Du Tier!
PANTHER
Das ist ganz egal. Rede nur, Thomas, rede! Und ich werde dir antworten! Und das nennt man dann einen Dialog!
THOMAS
Du bist wohl wahnsinnig! Weißt du was, behalte das Ding einfach, ich gehe schon. Lass du mich bloß in Frieden! (dreht sich um und macht Anstalten, zu gehen)
PANTHER
Aber es ist doch zu deinem Wohl! Warum wehrst du dich gegen dein eigenes Wohl? Du bist ein komischer Bursche! Denkst du etwa, du bist einer von den Vielen? So klang dein Monolog gerade eben aber nicht! Ein komischer Bursche bist du!
THOMAS, sich wieder zu PANTHER drehend
Er sagt zu mir: Komisch! Ich! Das sagt der Panther! Der Panther, der keiner ist und im Straßenmüll herumwühlt! Dazu sage ich wiederum: Lächerlich!
PANTHER
Thomas, hör mir doch zu, dein Schaden soll es nicht sein! Die Dinge sind oft komplizierter, als sie scheinen. Überhaupt ist Schein nicht auch gleich sein.
THOMAS
Du scheinst mir also ein Wahnsinniger zu sein. Fein. Und was bist du wirklich? In Wahrheit ein Panther, der im Menschenkörper geboren wurde? Ist es das, was ich glauben soll?
PANTHER
Ich habe Grund zur Annahme, dass es aber eben genau so ist, wie du gerade sagst.
THOMAS
Und ich habe Grund, das anzuzweifeln.
PANTHER
Das darfst du! Das sollst du auch! Komm, bleib hier und sage es mir ins Gesicht! Ich höre dir zu! Heda, ich glaube wirklich, du bist jemand, der profitieren würde von einem Dialog. (schaut THOMAS einen Moment intensiv an) Ich sehe es in deinen Augen. Du bist eine verlorene Seele, einer von den Wenigen, und du brauchst einen Dialog. Wie wär’s? (gibt THOMAS das Handy zurück) Schau, ich beiße auch nicht.
THOMAS, seufzend
Aber was hast du davon, mit mir zu sprechen?
PANTHER
Lass das nur meine Sorge sein.
THOMAS
Aber die Sache muss einen Haken haben! Alles hat heutzutage einen Haken. Fast kann man sich vorkommen wie ein Fisch, egal, wohin man auch geht und was man auch tut! Ich mache gar nichts, ohne eine vernünftige Erklärung. (verschränkt die Arme)
PANTHER
So skeptisch, aber trotzdem bist du noch hier. Das muss doch etwas zu bedeuten haben?
THOMAS
Alles kann irgendwas zu bedeuten haben. Eben dieser Fakt hat aber überhaupt nichts zu bedeuten.
PANTHER
Ich sage es dir, dein Schaden soll es nicht sein. Du willst es doch auch!
THOMAS schüttelt den Kopf.
PANTHER, zu sich selbst
So nah war ich noch nie dran! Ich habe ihn fast! Wie überzeuge ich ihn? (zu THOMAS) Versuchen wir es so.
Aus dem Off beginnt Klaviermusik. Das Klavier ist leicht verstimmt. PANTHER zieht aus dem Müll einen Gehstock und beginnt zu singen, dabei tanzt er mit dem Gehstock in der einen und seinem Hut in der anderen Hand.
PANTHER
Panther heiße ich,
das weißt du schon.
Von meiner Mutter bin ich
der einzige Sohn,
ich bin das
schwarze Schaf der ganzen Stadt
halb Mensch, halb Tier,
da bist du platt? Haha!
- Ich sag
Junge! Hörst du mir
bitte zu?
Die ganze Welt
ist verkehrt,
auch ich und du!
Ich weiß nicht wann
oder wie das angefangen hat,
doch die Zivilgesellschaft hat
das Zivil-sein satt!
Klaviermusik. PANTHER tanzt weiter.
PANTHER
Ich buchstabiere es:
Ko Mu Ni Ka Tion,
was heißt denn bitte
dieses kleine Wörtchen schon?
Heutzutage, in den
modernen Zeiten,
wo sich alle Menschen
hassen, prügeln, streiten
und nicht mehr REDEN wollen. REDEN! Das kann doch nicht so schwer sein!
THOMAS
Stimmt schon…
PANTHER
Pass auf:
Wenn ich hier laufen gehe,
durch die vollen Straßen,
wo vor langer Zeit
die Wildtiere sich
gegenseitig fraßen,
kommt’s mir vor
als wär ich durch
die Zeit gereist -
Und das ewige Eis
wäre noch vereist.
Oh Junge. Wenn Blicke töten könnten! Au weia! Die wissen genau so gut wie ich, dass ich nicht dazugehöre.
THOMAS
Das kenne ich zu gut!
PANTHER
Fein! Wir kommen wo hin! Nun weiter!
Ich gebe zu:
Manche Menschen haben
nicht sehr viel zu sagen,
Aber dennoch kann man sie
nach ihrer Meinung fragen.
Wo ein Kopf ist, ist
auch irgendwo Verstand,
Ich finde Mensch-sein und
Intellekt geht Hand in Hand!
Sag, Thomas: Ist ein Mensch auch eine Person?
THOMAS
Ähm, ich glaube schon?
PANTHER
Haha!
Ich heiße Panther,
und ich bin ein Raubtier auch,
aber statt Fleisch
füllen Dialoge
meinen Bauch!
Ich sag’
Ich will Gespräche führen
Um der Gespräche willen
Will deinen Kopf verführen
auf Offenheit dich drillen
auf deinen Zahn dir fühlen
und die Gemüter kühlen,
will befördern, was ich selbst
nicht haben kann:
Seid alle Menschen! Sei kein Bär,
sondern ein Mann!
PANTHER sackt in sich zusammen, atmet schwer. Stock und Hut wirft er in den Müll. Die Klaviermusik verstummt.
THOMAS
Wow - das war - etwas.
PANTHER
Und? Thomas? (atmet einmal tief ein) Verstehst du jetzt, was ich dir sagen will?
THOMAS
Ich glaube… schon. Ich habe nur nicht erwartet, dass du es auf diese Weise erklären würdest.
PANTHER
Das war eine Ausnahme. Das ist kein Musical, sondern das echte Leben. Aber wenn es hilft - Ich hatte den Eindruck, auf diese Weise verstehst du es besser. Ehrlich, ich weiß gar nicht, wo das plötzlich herkam. Es kam einfach so über mich.
THOMAS
(zu sich selbst) Er scheint ja doch ein netter Kerl zu sein. Hat ein paar gute Argumente. Irgendwie. Wahnsinnig ist er trotzdem. Das muss wohl nicht immer etwas Schlechtes sein. Wenn eben sonst keiner mit mir reden will. Wenn eben sonst keiner mir zuhören will. Weil sie mich angucken und meine Hässlichkeit sehen. Panther ist vielleicht blind? Na gut. Da muss ich mich nicht wundern, bei Wahnsinnigen in vermüllten Gassen zu landen. Vielleicht ist das ein Ort, an den ich sowieso gehöre. Vielleicht können wir beide zusammen wahnsinnig sein. Das wäre doch mal was. (zu Panther) Fein. Was soll es auch. Ich habe nichts zu verlieren. Komm, Panther, wir setzen uns und führen ihn - diesen Dialog, zu dem du mich die ganze Zeit drängst.
PANTHER
Ausgemacht!
PANTHER zieht zwei Müllsäcke herbei und setzt sich auf einen davon. THOMAS bleibt stehen.
PANTHER
So. Am Anfang war das Licht. Und der Rest kam danach. Erzähle mir also von diesem Rest.
THOMAS, seufzend
Von meiner Last. Und von meinem Elend.
PANTHER
Zum Beispiel.
THOMAS
Ich bin ein tragischer Mensch, merk dir das nur mal!
PANTHER
Schon geschehen. Überhaupt habe ich deinen Monolog eben schon gut mitbekommen. Du meinst also, du bist hässlich!
THOMAS, wehleidig
Ich bin es auch, ich bin es auch! Schau mich doch nur einmal an, Panther!
PANTHER steht auf, geht dicht an THOMAS heran und studiert eindringlich sein Gesicht.
THOMAS
Und? Platzen dir nicht schon die Augäpfel?
PANTHER
So schlimm finde ich es eigentlich gar nicht…
THOMAS
Du machst Witze! Ich bin entstellt von der Genetik! Ich müsste meine Mutter eigentlich verklagen! Aber immerhin, sie war es auch, die mich auf die düstere Wahrheit hingewiesen hat.
PANTHER
Gut, gut, gesetzt, wenn du denn meinst, ich glaube dir schon, dafür bin ich doch da. Du bist also ein Außenseiter und ein ausgesprochen hässlicher Vogel.
THOMAS, mit Nachdruck
Dankeschön.
PANTHER
Heda, nicht der Rede wert.
THOMAS
Also, du wolltest einen Dialog, worüber möchtest du denn reden?
PANTHER
Das ist ganz egal.
THOMAS, verwundert
Egal?
PANTHER
Egal. Es geht um das Prinzip der Sache. Das lernst du noch. Pass auf, ein Beispiel. Lass mich dir eine Geschichte in drei Teilen erzählen.
THOMAS
Gerne! Du bist der Experte - scheint mir.
PANTHER
Also, pass auf. Punkto Eins: Da war ein Junge, und der Junge ist in den Graben gefallen.
THOMAS
Und dann? Nein, lass mich raten: Die Raben sind gekommen und haben ihm die Augen gefressen.
PANTHER
Fast. Die Leber haben sie sich genommen.
THOMAS
War das nicht Prometheus?
PANTHER
Was? Feuer? Wo?
THOMAS
Vergiss es.
PANTHER
Jedenfalls ging es dem Jungen danach nicht so gut…
THOMAS
Verständlicherweise.
PANTHER
…und er versuchte, ohne Leber trotzdem weiterzuleben. Das war Punkto Zwei.
THOMAS
Heißt es nicht eigentlich ‘Numero’ und nicht ‘Punkto’, wie du es sagst?
PANTHER
Wie auch immer. Dann also Numero 3: Der Junge schafft es nicht und stirbt kurz darauf so oder so. Ende.
THOMAS
Das war abrupt. Gefällt mir nicht.
PANTHER
Das Leben ist eben kein Wunschkonzert. Und auch keine Showbühne. Sondern - (deutet mit ausladender Handgeste um sich herum) - eine Straßengasse voller Müll.
THOMAS
Wie kommt es überhaupt, dass wir uns ausgerechnet hier unterhalten? Wollen wir nicht zu mir gehen? Oder zu dir ins Apartment oder wo auch immer du wohnst?
PANTHER
Ungerne. Ich glaube, Leute wie du und ich, wir gehören ins Abseits - wenn die Gesellschaft uns ins Aus drängt, sollten wir das schon zur Kenntnis nehmen. Überhaupt - in meiner Wohnung ist kein Platz, ich bin kaum da und lagere dort Unmengen an Pfandflaschen und Glasflaschen und einige Behälter Propangas und etliche zerdrückte Sodadosen und -
THOMAS
Was war das?
PANTHER
Zerdrückte Sodadosen.
THOMAS
Propangas! Du lagerst Propangas?!
PANTHER, abwinkend
Ach, nicht der Rede wert. Das ist eine ganz andere Geschichte.
THOMAS, misstrauisch
Wenn du meinst.
PANTHER und THOMAS schweigen sich unschlüssig an. PANTHER setzt sich wieder auf einen der Müllsäcke, THOMAS folgt seinem Beispiel wenige Sekunden später. Einen Moment sitzen sie und schweigen sich an. THOMAS springt mit einem Mal auf und schaut sich wild um.
THOMAS
Ho!
PANTHER, aufgeregt aufstehend
Was?
THOMAS
Da!
PANTHER und THOMAS schauen sich um.
THOMAS
Hast du das gesehen?
PANTHER
Was denn?
THOMAS
Eine Motte.
PANTHER
Wo soll denn eine Motte sein?
THOMAS
So groß wie mein Daumen. Sie ist schon weggeflogen.
PANTHER
Wie soll ich sie dann sehen?
THOMAS
Gar nicht.
PANTHER
Eben.
Peinlich berührtes Schweigen. PANTHER und THOMAS setzten sich wieder auf die Müllsäcke, jedoch jeweils auf den anderen als zuvor. Sie setzen gleichzeitig zum Reden an und brechen dann ab.
PANTHER
Hast du -
THOMAS
Ich finde -
PANTHER
Sag du!
THOMAS
Nein, ich bestehe darauf!
PANTHER
Los, dir den Vortritt!
THOMAS
Unmöglich annehmbar!
PANTHER
Also gut. (steht auf) Ist dir schon mal aufgefallen, dass Macheten irgendwie verzaubert sind?
THOMAS, ebenfalls aufstehend
Macheten? Verzaubert?
PANTHER
Ja, ja, Macheten! Wer auch immer eine Machete in die Hände kriegt, verändert sich radikal. Wirklich wahr! Bei Messern oder Gabeln ist es nicht so, nicht bei Dreizacken oder Sensen oder Morgensternen oder sogar einer handlichen, modernen Schusswaffe, nein, nur immer Macheten, nur bei Macheten. Wenn ich es dir doch sage!
THOMAS
Inwiefern denn?
PANTHER
Plötzlich viel mehr Selbstbewusstsein - ein Gefühl von Überlegenheit - Gefährlichkeit - will jemanden massakrieren, einfach so zum Spaß - wird regelrecht asozial - übrigens, sagen dir Dr. Jekyll und Mr. Hyde etwas? - ein irriges Glitzern in den Augen - Rumgefuchtel - verletzt sich manchmal zuletzt aus Versehen selbst. Jedes Mal. Immer Macheten.
THOMAS
Klingt scheußlich! Und so etwas in einer funktionellen Gesellschaft? Nicht auszumalen! Eine explosive Lage! In die Gassen gehören solche - (zögernd) also zu uns. Ähm, sag, Panther, sei ehrlich, sind etwa wir auch Machetenschwinger? Sind wir Mr. Hydes?
PANTHER, erstaunt
Nein, nein, das ist etwas ganz anderes, Thomas! Wir sind eben so, wie wir sind. Fremdkörper. Es liegt in unserer bloßen Natur, dass wir ausgestoßen werden - oder es präventiv selbst tun. Wir sind die Wenigen, die anderen sind die Vielen. Aber bei Machetenschwingern, da tritt ein Wandel ein, und die tanzen aus der Reihe, wo es nicht ihre Sache ist, aus der Reihe zu tanzen. Weil sie eigentlich zu den Vielen gehören.
THOMAS
Also dürfen die nicht in die Gasse? Nicht zu uns?
PANTHER
Genau. Weil sie nicht wirklich anders sind, sondern nur dazu gebracht werden, es zu glauben. Das ist ein ganz fundamentaler Unterschied, verstehst du?
THOMAS
Wenn du meinst. Weißt du eigentlich, dass du unheimlich schlau klingst, wenn du sowas sagst? Wobei ich dir nicht recht folgen kann - Aber aus Nichts machst du doch immer Etwas.
PANTHER
Worte sind das, Worte! Ich sag’ doch, Dialoge sind das Wichtigste von allem, was der Mensch sich so ausgedacht hat. Deswegen müssen grade solche wie wir - vor allem Ich - Dialoge führen. Langsam verstehst du!
THOMAS
Schon! Schon! Blöd bin ich ja nicht - nur eben ausgesprochen hässlich.
PANTHER verdreht die Augen.
THOMAS
Und was machen wir jetzt?
PANTHER
Wir reden und wir warten. Und wenn eine verlorene Seele sich hierher verirrt, dann bieten wir recht höflich einen Dialog an. Das war sowieso das, was ich getan habe, ehe wir uns getroffen haben. Aber keiner will Dialoge führen! Das ist ja das Problem. (leiser, zu sich selbst) Ja, das ist das Problem.
PANTHER setzt sich auf den Container und dreht Däumchen. THOMAS setzt sich auf einen der Müllsäcke.
THOMAS
Heh.
PANTHER
Was ist?
THOMAS
Ach nichts.
PANTHER
Sag schon.
THOMAS
Na gut. Ich musste daran denken, dass sich jemand ziemlich langweilen würde, wenn er um die Ecke sitzen und uns belauschen würde.
PANTHER, verwundert
Meinst du?
THOMAS
Na, wir machen nichts! Das gibt keinen interessanten Anblick, finde ich.
PANTHER, vom Container steigend
Langweilst du dich etwa gerade?
THOMAS, aufstehend
Ich nicht! Ich freue mich! Ich mag es, mit dir zu reden. Ich bin aber auch aktiv beteiligt am Gespräch. Ich höre dir zu und denke über das nach, was du sagst, und dann sage ich meinen Teil dazu und warte gespannt, wie du wiederum reagieren wirst und immer so weiter.
PANTHER
Das stimmt. (Pause) Aber ein Zuhörer könnte das doch auch? Der lauscht auch aktiv und denkt über das Gesagte nach und sagt - nun, denkt sich die Antwort. Der interagiert mit unserem Gespräch auch. Das ist Input für sein Hirn - und das heißt in der Wissenschaft, glaube ich, neuronale Verknüpfungen. Da könnte man sich doch niemals langweilen, oder? (schaut in Richtung Publikum) Nein, niemals jemals! Und mit uns schon gar nicht! Überhaupt - wie kommst du darauf? Fühlst du dich beobachtet? (schaut sich um)
THOMAS
Ach, ich weiß auch nicht, Panther.
PANTHER
Merk ich, Junge, merk ich. (klatscht einmal laut in die Hände) Heh! Was du für Gedanken hast!
THOMAS
Was ich so für Gedanken hab! Und schau - du hast recht! Aus irgendeinem Gedanken haben wir schon direkt wieder ganz leicht einen Dialog gesponnen.
PANTHER
Fast hast du dich nicht getraut, den Gedanken laut auszusprechen!
THOMAS
Da steckt irgendwo eine Lektion darin.
PANTHER
Thomas - genau das ist die Lektion.
THOMAS
Ah! Du hast recht!
PANTHER
Du siehst, wie leicht es ist?
THOMAS
Super leicht! Da gibt es ja wirklich unendlich Möglichkeiten!
PANTHER
Zum Beispiel auch so, schau mal, was ich mache.
PANTHER wandert zum Müll hinüber, zieht daraus eine Tageszeitung und blättert darin herum.
PANTHER, entrüstet
Jetzt schau mal, was die in der Zeitung schreiben!
THOMAS
Was denn?
PANTHER
Schau. (hält ihm die geöffnete Zeitung vor die Nase) “Kreisler und Söhne, Fregattenbauer.”
THOMAS, empört
Was denn!
PANTHER
Meine Rede!
THOMAS
Wo sind wir denn gelandet? Wo kommen wir denn da noch hin?
PANTHER
Meine Gedanken genau!
Schweigen.
THOMAS
Sag mal, Panther.
PANTHER
Was denn?
THOMAS
Was sind denn überhaupt Fregatten?
PANTHER
Vergiss es. Oder schau hier. Eine Werbeanzeige für einen -
Szene 4
Rumoren hinter den Kulissen. Ein amüsiertes Kreischen. THOMAS zuckt zusammen und schaut sich um. PANTHER geht halb in die Hocke wie ein angriffsbereites Tier. PANTHER und THOMAS kommen nebeneinander zum Stehen und starren zum linken Bühnenrand, die Hand am Ohr, lauschend. CRACKHUREN EINS, ZWEI, DREI sind aus dem Off zu hören.
CRACKHURE ZWEI
Du bist so eine Böse! (lacht)
CRACKHURE DREI
Nicht halb so wie du!
CRACKHURE EINS
Ihr seid beide ganz übel! Wie ihr diesen Mann ausgenommen habt! Wie ihr ihm das gute Zeug genommen habt! Wie ihr ausseht! Wie ihr lauft! Wie ihr seid!
CRACKHURE ZWEI
Wie wir bleiben!
CRACKHURE DREI
Wie eifrig wir die Hände reiben! So muss das klingen! (verrücktes Lachen)
CRACKHURE ZWEI
Wollt ihr singen? Wollt ihr tanzen?
CRACKHURE DREI
Einen Shimmy! Aber ich kriege schon das Zucken. Lasst uns bald ruhen, ich brauche noch eine Runde. (Pause) Wer hat meine Pfeife?
CRACKHURE EINS und ZWEI, gleichzeitig
Ich nicht!
CRACKHURE DREI
Falsch! Falsch! Schwestern, zeigt mir eure Taschen! Eine von euch muss sie haben! Ihr Lügnerinnen! Ihr Diebe! Ihr Huren!
CRACKHURE EINS
Selber Hure!
CRACKHURE DREI
Ach, du hast ja recht!
CRACKHURE EINS, ZWEI, DREI lachen gemeinsam. Sie treten von rechts auf die Bühne. Als sie Thomas und Panther sehen, die noch immer zum linken Bühnenrand schauen, verstummen sie und stoßen einander belustigt an. CRACKHURE EINS legt den Zeigefinger vor den Mund. CRACKHURE EINS, ZWEI, DREI schleichen zur Mitte der Bühne, kommen unmittelbar hinter Thomas und Panther zu stehen. CRACKHURE EINS gibt ein Handzeichen. Gleichzeitig: CRACKHURE EINS schreit. CRACKHURE ZWEI springt THOMAS auf den Rücken. CRACKHURE DREI versucht, PANTHER auf den Rücken zu springen, fällt aber herunter und bleibt lachend liegen.
THOMAS, mit CRACKHURE ZWEI auf dem Rücken, herumtorkelnd und sich drehend
Ho! Ein Überfall!
PANTHER
Fauch! Dämonen!
CRACKHURE EINS
Schau an, was haben wir denn hier? Zwei Gassenlungerer? Zwei Gestalten? Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist - was ist das?
THOMAS schafft es, CRACKHURE ZWEI abzuschütteln und versteckt sich halb hinter Panther.
PANTHER
Was wollt ihr?
THOMAS
Lasst uns in Frieden!
CRACKHURE ZWEI und DREI stellen sich neben CRACKHURE EINS. CRACKHURE DREI kratzt sich die Arme.
CRACKHURE EINS
Wir wollen gar nichts!
CRACKHURE DREI, dazwischenrufend
Ich will meine Pfeife!
CRACKHURE ZWEI
Ruhe! (schlägt CRACKHURE DREI auf den Hinterkopf)
CRACKHURE EINS
Wir wollen gar nichts. Wir sind nur Passanten. Wir sind nur auf der Durchreise. Auf öffentlichem Boden. Oder gehört euch diese Gasse? Gehört euch dieser Müll?
CRACKHURE DREI, CRACKHURE ZWEI anstoßend
Ist er das etwa?
CRACKHURE ZWEI
Möglich, möglich!
CRACKHURE EINS
Bist du der Müllkönig? (Pause) Ich meine das ernst, bist du der Müllkönig? Wir suchen schon lange den Müllkönig! Bist du der Müllkönig?
PANTHER schüttelt den Kopf.
CRACKHURE EINS
Sicher?
PANTHER
Ich bin kein König. Es gibt hier keine Könige.
CRACKHURE EINS
Na gut. Schade. Zu früh. Dann wollen wir nicht stören, oder? (dreht sich zu CRACKHURE ZWEI und CRACKHURE DREI um. Beide schütteln den Kopf) Also.
THOMAS
Überhaupt - wer seid ihr? Oder was?
CRACKHURE EINS, ZWEI, DREI, gleichzeitig
Wir sind - die drei Crackhuren!
Aus dem Off ertönt eine Handvoll schiefer Klaviernoten.
PANTHER
Aha.
CRACKHURE EINS
Kennst du uns denn nicht?
PANTHER
Nein.
CRACKHURE ZWEI
Schaut nur, wie einsilbig er ist! Ausgerechnet er! Panther! (mit verschwörerischem Ton) Der Müllkönig! Ich dachte, er will gerne mit Leuten reden! Aber nicht mit uns, nein, nicht mit uns! (lacht) Können wir es ihm übel nehmen?
CRACKHURE DREI
Nein, können wir nicht. (zu sich selbst) Wenn er nur eine Pfeife bei sich hätte! Oder etwas Stoff…
PANTHER
Woher kennt ihr mich? Was wisst ihr von mir?
CRACKHURE EINS
Vieles und Nichts.
CRACKHURE DREI, an THOMAS gerichtet
Sag mal, Süßer, wie wär’s mit uns zwei?
THOMAS weicht angeekelt zurück.
CRACKHURE EINS
Also: Panther ist hier, und er führt Dialoge, aber er ist nicht der Müllkönig. Das ist das, was es ist, oder nicht? Oder nicht?
PANTHER
Richtig.
CRACHURE ZWEI
Also bloß eine Frage: Bist du ein Mensch oder ein Tier?
PANTHER
Was? Mein Name ist Panther, aber ich bin keiner.
CRACKHURE ZWEI
Also bist du ein Mensch? (Pause) Antworte!
PANTHER ringt nach Worten.
CRACKHURE EINS
Komm lass ihn, denn wir sind zu früh. Kommt Schwestern, wir haben uns verfahren. Ein anderes Mal. Ein späteres Mal. Einmal.
CRACKHURE ZWEI und DREI, gleichzeitig
Weiter! Weiter!
DREI CRACKHUREN setzen sich in Bewegung in Richtung linker Bühnenrand.
THOMAS
Was passiert hier? Ist es wegen meines Gesichts? Es ist wegen meines Gesichts, oder? Ich wusste es! Und vielleicht, weil ich doch mit einem Wahnsinnigen herumhänge? Ich hätte mich nicht auf ihn einlassen sollen! Jetzt habe ich schon selber den Verstand verloren. Es ist alles falsch! Ich -
CRACKHURE ZWEI, ohne stehenzubleiben
Sei leise! Sie versucht zu denken.
CRACKHURE EINS, ohne stehenzubleiben
Ich versuche zu denken! Da war noch etwas.
CRACKHURE DREI, Arme kratzend, ohne stehenzubleiben
Etwas war da!
CRACKHURE ZWEI und DREI verschwinden links von der Bühne. CRACKHURE EINS bleibt unmittelbar am linken Bühnenrand stehen und dreht sich zu Panther und Thomas um.
CRACKHURE EINS
Genau! Genau! Das war es! Das war es! Diese eine Sache wollte ich euch sagen!
PANTHER
Was ist es? Worum geht es?
CRACKHURE EINS
Ach genau. Wie drücke ich es aus? Wie macht man das? Frei heraus: Da kommt jemand! (geht links von der Bühne)
PANTHER und THOMAS schauen sich perplex an.
THOMAS
Was zum Teufel -
PANTHER
Wahnsinnige!
THOMAS
Und doch sind wir es, die verwirrt sind.
PANTHER
Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals jemanden getroffen zu haben, mit dem ich weniger gerne einen Dialog führen wollte. Obwohl die drei gewiss nicht zu den Vielen gehören.
THOMAS
Und was war das nun? Was hat das zu bedeuten?
PANTHER
Ich weiß es nicht, nichts gutes - vielleicht unser Ende…
THOMAS, ängstlich
Den Tod!?
PANTHER
Oder so ähnlich.
THOMAS
Wie können wir es verhindern?
PANTHER
Wir können es vergessen und ignorieren.
THOMAS
Wir können -
Szene 5
Hinter den Kulissen rummst es. KOMMISSAR betritt von rechts die Bühne.
KOMMISSAR
A-ha! Da ist er ja! Ich habe ihn! Bingo! Genau wie in den Beschreibungen. Mit seinem Mantel und so weiter!
THOMAS
Was ist denn jetzt wieder? Was habe ich begangen?
KOMMISSAR ignoriert Thomas, geht geradewegs auf Panther zu.
KOMMISSAR, sich aufplusternd
Ich bin Kommissar, und du bist verhaftet.
PANTHER
Nein, ich heiße Panther…
KOMMISSAR
Dann bist du genau der Richtige.
PANTHER
…Aber ich bin keiner… was? Der Richtige wofür?
KOMMISSAR
Also der, für den ich gekommen bin. Für den ich gerufen wurde.
PANTHER, sich zu Thomas umdrehend
Hast du das getan? Hast du heimlich doch die Polizei gerufen? Hast du mich verraten?
THOMAS, erschrocken, die Hände wie zur Abwehr hebend
Nein! Ich schwöre es! Niemals! Ich bin kein Verräter!
KOMMISSAR
Wir haben gleich mehrere Anrufe bekommen von besorgten Bürgern. Was weiß ich, ob diese Bohnenstange dabei war?
PANTHER
Die besorgten Bürger sind weswegen besorgt?
KOMMISSAR
Wegen dir. Übrigens: Ich habe dich geduzt. Das fühlt sich uncool an, oder?
PANTHER
Nun…
KOMMISSAR
Du bist Panther, hast du gesagt? Nun zeige einmal den Ausweis bitte her. Aber bloß keine schnellen Bewegungen.
PANTHER
Ich habe keine Waffe, bloß vielleicht meinen Mund.
KOMMISSAR
Wehe, du beißt mich!
PANTHER sucht langsam seine Hosentaschen ab, dann seine Manteltaschen, findet seinen losen Personalausweis schließlich in der Brusttasche der Weste, wischt ihn mit dem Handrücken ab und reicht ihn KOMMISSAR. KOMMISSAR studiert den Ausweis.
KOMMISSAR
A-ha! Wie ich es mir gedacht habe! Da steht ja gar nichts vom Panther! (zu sich selbst) Und dass er nicht schwarz ist, habe ich schon von vornherein sehen können. Also, was haben wir denn hier? Er hat einen normalen Namen. Er heißt -
PANTHER, ihn unterbrechend
Heda, ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie den Namen stumm zur Kenntnis nehmen würden. Ich mag ihn nämlich nicht. Ich kann mich nicht mit ihm identifizieren. Deswegen sage ich ja auch nicht: Ich heiße was auch immer. Mustermann oder so. Sondern ich sage: Ich heiße Panther.
THOMAS
Aber er ist keiner.
KOMMISSAR, sich genervt zu THOMAS umdrehend
Was ist überhaupt mit dir? Kennst du ihn? Steckst du mit ihm zusammen? Soll ich deine Daten auch aufnehmen? (gibt PANTHER widerwillig den Ausweis zurück. THOMAS weicht stumm zurück. KOMMISSAR nickt anerkennend) Also gut. Die Leute erzählen sich, also, diese besorgten Bürger, dass hier eine schlimme Gestalt herumwuselt und unangenehm ist.
PANTHER
Mit Verlaub, das ist kein Verbrechen.
KOMMISSAR
Einer, der unangenehm ist. Einer, der Drogen verkauft -
PANTHER
Meine Droge ist metaphorischer Natur. Sie ist ein Dialog!
KOMMISSAR
Und Frauen belästigt -
PANTHER
Mit einem Dialog! Einem harmlosen Dialog!
KOMMISSAR
Und dem Geschäft schadet -
PANTHER
Unabsichtlich!
KOMMISSAR
Und jüngst mit Damen der Nacht abhängt, wenn man es glauben mag.
PANTHER, verlegen
Man hat sich mir aufgedrängt.
KOMMISSAR
A-ha! Eben das musst du sein lassen.
PANTHER
Was davon denn?
KOMMISSAR
Na alles, Herr (mit viel Betonung) Panther.
PANTHER
Der Panther hat seine Lektion bereits gelernt, Herr Kommissar. Schauen Sie doch: Ich habe mich geschlagen zurückgezogen in diese Gasse hier. Abseits der Straßen, abseits der Menschen, abseits der Gesellschaft und abseits der Vielen. Hier gehöre ich hin, an den Rand von allem, was brummt und beißt. Hier kann ich wohl kaum jemandem schaden - außer vielleicht mir selbst, und das ist belanglos.
KOMMISSAR, abwägend
Hm. (schaut sich um) Hast nicht unrecht. Hier ist tote Hose. Außer Straßenkötern kommt hier wohl nicht viel vorbei. Warte, du bist doch nicht einer von diesen Perversen, die arme Straßenköter sexuell belästigen?
PANTHER, schnell
Niemals!
KOMMISSAR
Na gut. Okay. Fein. Schön. Du bist also hier in dieser Gasse. Mir wäre es aber schon lieber, du gehst nach Hause. Damit ich keine Anrufe mehr bekomme von den besorgten Bürgern, die sich nicht in Gassen tummeln, sondern wie ganz normale Bürger auf der Straße laufen. Du bist doch nicht obdachlos?
PANTHER
Ein Panther hat nie ein Dach, das er sein eigen nennt.
KOMMISSAR zieht eine Augenbraue hoch und schaut PANTHER skeptisch an.
PANTHER
Also gut, nein, ich bin nicht obdachlos. Aber die Wände schlucken mich. Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr dort.
THOMAS, zu sich selbst
Und das Propangas nimmt sowieso den ganzen Platz weg.
KOMMISSAR
Schon gut, schon gut, ich will das alles gar nicht so genau wissen. Das hier ist also eine offizielle Verwarnung.
PANTHER
Und wofür nochmal genau?
KOMMISSAR
Ganz genau. Gibt es noch Fragen?
PANTHER
Viele. Aber nicht für den Herrn Kommissar.
KOMMISSAR
Hervorragend. (reibt sich die Hände) Dann ist ja alles fein.
THOMAS
Ein weiterer erfolgreicher Auftrag?
KOMMISSAR
Da kann ich mir auf die Schulter klopfen.
PANTHER
Herr Kommissar hat ganz recht.
KOMMISSAR
Ihr mit euren großen Schnauzen. Schaut, dass ich nicht wiederkommen muss. Dann aber hallo, dann geht es ab.
KOMMISSAR ab.
PANTHER
Das war ja einmal eine Sache. Kannst du das glauben?
THOMAS
Hm?
PANTHER
Ob du das glauben kannst.
THOMAS
Achso, ja, nun, ich habe es schließlich selbst gesehen.
PANTHER
Also. Dass man mir schon das Gesetz nachjagt! Weißt du, was ich vom Gesetz halte?
THOMAS
Nicht viel?
PANTHER
Quatsch! Sehr viel sogar! Wie soll denn eine Gesellschaft funktionieren, wenn es keine Gesetze gibt? Bloß: Ich bin ja nicht Teil der Gesellschaft. Ich bin abseits, sogar ganz freiwillig. Um die Gesellschaft zu retten! Und deswegen betrifft mich das alles nicht mehr. Und dich auch nicht, hm?
THOMAS
Mich auch nicht?
PANTHER
Dich auch nicht. Wo du doch mit mir in der Gasse herumlungerst und Dialoge führst!
THOMAS
Meinst du denn, er kommt zurück?
PANTHER
Ich hoffe es nicht. Ich bin mir keiner Straftat bewusst. Ich bin ja eigentlich sogar selbst Teil der Exekutive!
THOMAS
Wie das?
PANTHER
Na, wie gesagt: Weil ich mich freiwillig ins Aus bewege. Um eben die Gesellschaft zu retten! Hörst du mir denn gar nicht mehr zu, Thomas?
THOMAS
Doch.
PANTHER
He, also, diese Angelegenheit soll unser Wasser nicht trüben. Wo waren wir zwei denn stehen geblieben. Ein Dialog war es! Worüber?
THOMAS, verlegen
Hör mal. Ich muss jetzt auch besser gehen.
PANTHER
Was?
THOMAS
Mir ist eingefallen, dass ich einen Termin habe.
PANTHER
Einen Termin? Was denn für einen Termin?
THOMAS
Ach, das ist doch egal. Ich war vorhin aber auf dem Weg dorthin, als wir uns trafen.
PANTHER
Du musst dich wohl beeilen?
THOMAS
Ja.
PANTHER, nüchtern
Dann ist das also ein Abschied.
THOMAS
Ich komme aber wieder! Ich verspreche es!
PANTHER
Klar.
THOMAS
Okay.
PANTHER
Ja.
THOMAS steht einen Augenblick unschlüssig da und schaut zu Boden, seufzt einmal laut, dann joggt er los und verlässt links die Bühne.
PANTHER
Und jetzt bin ich wieder allein.
Szene 6
PANTHER geht von links nach rechts über die Bühne. Er seufzt und schaut hinter die Kulissen. Dann geht er von rechts nach links über die Bühne und schaut hinter die Kulissen. Er schüttelt den Kopf. Er geht zum vorderen Bühnenrand und schaut ins Publikum.
PANTHER
Jetzt bin ich allein. Es ist fast besser so. Der kommt doch nicht wieder, der Thomas. Ich kenne Körpersprache. Der hat sich eine Ausrede zurechtgelegt, um von mir loszukommen. (schüttelt den Kopf.) Ich kann es ihm nicht einmal verübeln. Welcher normale Mensch lungert schon gerne in einer dreckigen Gasse herum? Genau. Und gerade deswegen bin ich hier. Ich bin ja kein normaler Mensch. Ich bin ein Wolf im Schafspelz. Ein Panther in Menschenhaut. Mögen sie die Polizei doch auf mich hetzen! Ha! Überhaupt! Menschengesetze gelten nicht für die Natur! Der Mensch hat sich aus ihr entfernt, aber nicht über sie erhoben. Also soll es mich nicht stören. (lässt die Schultern sinken, als würde man Luft aus ihm lassen) Aber es stört mich eben doch. Weil ich die Menschenhaut habe. Und was tut ein Mensch? (läuft erneut zum linken Bühnenrand, horcht kurz, läuft dann zum rechten Bühnenrand, horcht kurz, stellt sich dann wieder mittig an den vorderen Bühnenrand) Er spricht. Er tauscht Informationen aus. Er führt Dialoge. Das also ist mein Schicksal? Alles Tierische in mir unterdrücken, ersticken, ausreißen? Wegschalten, ausschalten, abschalten? Ich wünschte beinahe, diese Frau hätte es mir niemals offenbart. Diese Kräuterhexe! Teufelsweib! Wie einfach alles wäre! Im seligen Unwissen! (lächelt, versinkt scheinbar in einen Tagtraum. Nach einer Weile reißt er sich heraus und das Lächeln verschwindet von seinem Gesicht) Aber wenn es eine Wahrheit gibt, sollte man sie nicht verleugnen. Ich bin lieber im Wissen unglücklich als glücklich und dumm. Und jetzt bin ich im Wissen und gleichzeitig sogar glücklich. Weil ich eben Panther bin. Ja, das bin ich. So bin ich. (Stille. Er reibt sich die Hände, als wollte er sich wärmen) Vielleicht kommt ja jemand vorbei. Ich bin schon ein Wegelagerer. Ha! Das gefällt mir! Ich bin auf der Pirsch! (beginnt, auf der Bühne langsam im Kreis zu gehen) Auf der Jagd! Auf der Lauer! Und wenn da eine arme Seele kommt, ein verlorenes Menschenkind, einer von den Wenigen, dann greife ich zu! Dann nehme ich meine Hände und ergreife dieses Menschenkind! Und schüttle es und rüttle es! Dieser Ort ist eigentlich ein schöner Ort, ein guter Ort! Hier passe ich hin. Und hier kommen nur solche vorbei, die wie ich ticken. Glaube ich. Hoffe ich. Und ehe sie sich versehen, habe ich - (bleibt stehen und klatscht einmal laut in die Hände) Zack! Sie in einen Dialog verwickelt! So geht das. Vielleicht bleiben sie dann hier! Und lauschen mir! In meinem Revier! Schon reden wir! Ha! Dabei kommt mir etwas in den Sinn: Wie haben die drei Damen der Nacht, die Crackhuren, mich noch gleich genannt? Sie haben mich gefragt, ob ich nicht der Müllkönig sei. Ha! Vielleicht bin ich es ja doch! Fehlt nur der Hofstaat! Ein Müllkönig, hm? Das gefällt mir! Das gefällt mir sehr gut!
PANTHER geht abrupt zum Müll und wühlt darin herum. Zuletzt zieht er ein Stück Pappe hervor.
PANTHER
Müllkönig, hm? Müllkönig. Das gibt mir doch ein gutes Material. (bastelt und biegt an der Pappe herum) Der menschliche Abfall kommt zu mir, die Beine tragen ihn von selbst zu mir. Sie wollen geformt werden! Sie wollen gehört werden. Aber - es ist ein einsames Amt. Der Panther hat eben die falsche Farbe, ist keine eigene Spezies. Oh nein, er ist per Natura ein Außenseiter, sonst wäre er - kein Panther mehr. (Pause) Habe ich Thomas wirklich angemiaut, ehe wir sprachen? Heda, Panther, alter Junge, lass den Unsinn. Du bist keine Katze. Und du bist kein Panther, kein echter Panther jedenfalls. Kein vollständiger Panther (schaut an sich herab) Dein Fleisch gehört in die Gattung des Homo Sapiens. Menschenform. Gegenüberstellbare Daumen! (lässt Pappe fallen, streckt seine Daumen aus) Das nennt man doch mal einen Hammer! Evolution, du verrücktes Ding. Der alte Darwin hat sich da wahrhaftig Konzepte ausgedacht. (hebt den Zeigefinger mahnend) Was denn für Konzepte? Schlaue? Gerissene? Desaströse? Nun, Konzepte sind sie, das steht fest. Nur eine Sache hat er nicht gefunden! (stupst sich mit demselben Zeigefinger gegen die Brust) Die Seele! Und diese Seele, die in mir steckt, irgendwie, irgendwo, die muss falsch verteilt sein. Das ist die Seele eines schwarzen Raubtiers. (schüttelt den Kopf) Beinahe hätte ich es selber nicht gewusst. Habe es nicht einmal geahnt! Ich müsste einmal diese weise, diese schlaue Frau wiedertreffen und sie abküssen dafür, dass sie mir die Wahrheit gezeigt hat. Sie musste mich bloß einen Moment anschauen, da wusste sie direkt, was mit mir falsch läuft! Wäre sie nicht, würde ich jetzt in diesem Augenblick da draußen sein, wie ein Schläferagent inmitten der Mehrheit. Und arbeiten, jeden Tag der gleiche Trott. Überhaupt - (hält inne, lauscht) Da kommt jemand. (versteckt sich hinter dem Container)
Szene 7
WOLF kommt von rechts auf die Bühne. Trägt zerschundenen Blaumann, darunter nackte Brust. Barfuß. Stolpert herum und schuppert sich am Ohr.
WOLF
Wuff Wuff. (schaut sich hektisch um) Schnauze. Okay. (winselt, schuppert sich am Ohr) Der Lenz war da, jetzt nicht mehr. So geht das manchmal. Und ich bleibe. Wie gut, dass es gerade Vollmond war. Ich war den Hund leid. Vierbeiner gehören in den Zwinger! Wuff! Schnauze. Okay. (winselt) Bloß ist für mich auch so jetzt kein Platz nirgendwo. Da kann ich bald auch zum Zwinger torkeln und da bleiben. (stolpert) Gleichgewicht! Verdammt nochmal! (bleibt stehen, holt tief Luft. Jault aus voller Kehle) Wooolf! Verfluuucht seist duuu! (verschnauft)
PANTHER tritt hervor.
PANTHER
Mein Name ist nicht Wolf, sondern Panther.
WOLF, ruhig bleibend
Ich habe dich gerochen, Mensch. Ich bin Wolf.
PANTHER
…Aber ich bin keiner - warte, was? Hast du mich gerade einen Menschen genannt?
PANTHER und WOLF beäugen sich kalkulierend, laufen langsam umeinander herum, WOLF dabei unbeholfen.
WOLF
Sicher. Du bist doch auch ein Mensch. Beiß! Ich rieche das bis da hinten und um die Ecke und die Straße runter. Du bist so sehr Mensch wie man nur Mensch sein kann. Zu einhundert Prozent menschlich.
PANTHER
Einhundert… Frechheit!
WOLF
Hast du nicht gerade selber gesagt: Ich bin kein Panther, Panther? Bei mir ist der Name Programm. Kollege. Ich heiße Wolf und bin auch einer. (schuppert sich am Ohr)
PANTHER
So einfach ist das nicht! Ich bin ein - bin ein Mittelding, eine - warte mal, du bist doch überhaupt kein Wolf! Schau dich mal an! Zwei Beine hast du und redest auch! Wo ist dein Fell? Wo sind deine Reißzähne!
WOLF
Da sind sie! (zeigt seine Reißzähne) Überhaupt. Wenn du es genau wissen musst: Ich bin ein Wolfsmann!!
PANTHER
Unfug!
WOLF
Wuff! Schnauze! Okay. (schaut sich hektisch um) Wenn du es genau wissen willst: Ich bin ein Wolf. Wenn der volle Mond kommt, kommt mit ihm auch der Mensch in mir hervor. Das ist gerade eben so. Es ist also eine Ehre, Panther oder wie du echt heißt. Eine Ehre, dass du mich in dieser Form siehst. Heute Nacht ist schon wieder Schluss damit. Dann geht es zurück in die Natur. Bis nächsten Monat.
PANTHER
Du bist ein Lügner oder ein Wahnsinniger. Nichts anderes. Ein Wolfsmann sowieso nicht. So etwas gibt es gar nicht.
WOLF, belustigt
Panther, du machst mir Spaß. Fleisch! Ich würde mich gerne mal mit dir beißen. (schnuppert) Willst du mir was zu essen geben? (schuppert sich am Ohr)
PANTHER
Ich habe nichts. Du riechst den Müll hier.
WOLF macht einen Schritt auf Panther zu, greift ihm zielgerichtet in die Hosentasche und zieht ein Gummibärchen heraus. Er hält es triumphierend hoch und steckt es sich dann in den Mund.
PANTHER, einen Schritt zurückweichend
Du bist ein Teufel bist du! Mach, dass du wegkommst!
WOLF
Ich gehe sowieso. Gleich. Wuff! Schnauze! Okay. Wolltest du nicht etwas? Von mir? Ich glaube, du hast mir aufgelauert.
PANTHER
Dann täuschst du dich.
WOLF
Du lügst. Rieche ich. Vogel! Du hast gewartet.
PANTHER
Schön. Da hast du recht. Aber nicht auf dich.
WOLF
Sondern auf jeden. Jeden, der kommt. (schuppert sich am Ohr) Ja?
PANTHER
Ja. Herzlichen Glückwunsch. Willst du jetzt gehen, damit jemand anderes kommen kann? Mit dir will ich nicht sprechen.
WOLF
Aber ich kann es. Hörst du das? Ich kann sprechen. Und du siehst mich auch. Also weißt du: Mich gibt es.
Ein Anfall durchschüttelt Wolf, und er fängt unkontrolliert an zu Bellen und zu Knurren. PANTHER nimmt großen Abstand.
PANTHER
Was soll das! Teufelei! Schon wieder Teufelei!
WOLF fängt sich wieder.
WOLF
Schnauze! Schnauze! Schnauze! (hustet) Okay, okay!. Reißen! Wuff! (hustet) Ich gehe schon. Panther. Ich lasse dich.
PANTHER
Na also.
WOLF
Noch nicht. Warte. Du wolltest gerade eben meine Reißzähne sehen. Ich zeige sie dir nochmal (zeigt seine Reißzähne) Wuff! Schnauze! Okay. Ich will dir einmal etwas sagen, Panther oder wie auch immer dein echter Name ist. Du und ich, wir sind eigentlich ganz ähnlich. Warum? Weil wir beide wie Reißzähne sind. Wir sind die Reißzähne des Menschheitsgeschlechts. (PANTHER schüttelt den Kopf) Nein, hör mir zu. Du Reißzahn des Menschheitsgeschlechts. Beiß dir nicht ins eigene Fleisch! Nimm ein beliebiges Raubtiergebiss und schaue, wie die Reißzähne sich verhalten. Da sind zwei Reißzähne oben. Flöhe, sag’ ich! Zwei Reißzähne unten. Beißen und Reißen ist für das Überleben notwendig. Wenn man das macht, treffen die Reißzähne aufeinander. Wir zwei Reißzähne liegen aber nicht vertikal zueinander, sondern parallel. Wir können reißen und reißen, aber uns nie berühren. Weil wir zu unterschiedlich sind. Flöhe! Hörst du? An dir ist nichts Tierisches! Aber etwas von einem Zahn. Und wenn du - Wuff! Schnauze. Okay. - wenn du das gehört und verstanden hast, dann gehe ich gerne weg und komme auch nicht wieder
PANTHER, sich abwendend
Du meinst - ich könnte - ein Reißzahn…
WOLF wendet sich zum Publikum, zuckt mit den Schultern, schuppert sich am Ohr und taumelt zum Bühnenrand.
WOLF
Den Menschen muss man einmal verstehen. Ich freue mich schon auf die Nacht, wenn Wolf sein Mensch-sein von sich lacht. Wuff! Wuff! (WOLF ab)
PANTHER, tief in Gedanken
Wenn nun aber - was er meint - ich glaube fast - ein Reißzahn - und am Ende bin ich nicht der Müllkönig, sondern - aber er war kein Mensch, wenn ich ihm glauben kann - aber das hieße - ich müsste - es ist egal, es ist eitel - ‘Wuff’ sagt er - ein Reißzahn - Nein! Wenn er nun wirklich ein Wolfsmann ist, dann hat sein Wort kein Gewicht für mich. Weil er gar kein Mensch ist. Wenn er es aber nicht ist, dann muss er ein Wahnsinniger oder ein Lügner sein. Sein Wort hat kein Gewicht für mich! Also! Auf! (hebt das Stück Pappe von vorher wieder auf) Der Müllkönig lebt! Der Müllkönig braucht eine Krone! Der Müllkönig - (er schaut unmittelbar ins Publikum) - sucht sich sein Gefolge. Sein Königreich - komme! (geht feierlich hinter den Müllcontainer, wo man ihn nicht sieht)
Szene 8
Auftritt CRACKHURE EINS, ZWEI, DREI
CRACKHURE EINS
Schwestern, hört mir nur EINMAL zu: Wenn du (zeigt auf Crackhure Zwei) dich mehr schminken würdest und du (zeigt auf Crackhure Drei) weniger und ich so bleibe wie jetzt, dann könnten wir ein-
CRACKHURE ZWEI
Ich bin gut so, wie ich bin.
CRACKHURE DREI
Ich viel mehr! Schieß nur nicht auf mich!
CRACKHURE EINS
Mit all der Schminke im Gesicht bist du eine einzige laufende Zielscheibe! Und wenn man ins Gelbe treffen will, zielt man auf deine Nase. Auf deine Nase!
CRACKHURE ZWEI
Ich bin ja auch ein Volltreffer!
CRACKHURE DREI
Falsch!
CRACKHURE ZWEI
Immer einmal mehr wie du!
CRACKHURE DREI
Nein! Lügen! Lügen!
CRACKHURE ZWEI
Wohl! Wahrheit!
CRACKHURE DREI
Ah! Eine verbogene Spritze bist du!
CRACKHURE ZWEI
Giftspeierin!
CRACKHURE DREI
Hure!
CRACKHURE ZWEI
Da hast du recht!
CRACKHURE ZWEI und CRACKHURE DREI verfallen in ein manisches Kichern.
CRACKHURE DREI, sich am Arm kratzend
Wenn nur das Crack nicht alle und die Pfeifen noch da wären!
CRACKHURE EINS, laut
Zeit!
CRACKHURE ZWEI und CRACKHURE DREI erschrecken sich und verstummen.
CRACKHURE EINS
Spürt ihr das nicht? (Stille) Zeit vergeht. Gerade jetzt! Das zieht an mir! Das zerrt! Meine Haut zerschmilzt! Sie wird zerfaltet! (Pause) Und doch vergehen keine Jahre, und keine Monate, und keine Wochen, und keine Tage. Es sind Stunden. Ein paar kleine Stunden. Zeit von innen heraus betrachtet ist die trägste Ursuppe von allen. Von außen betrachtet aber - hehehe.
CRACKHURE ZWEI
Zeit vergeht! Der König steht!
CRACKHURE DREI
Er steht?
CRACKHURE EINS
Er steht. Er steht auf, aber er steht und wird stehen.
CRACKHURE DREI
Wird er fallen?
CRACKHURE EINS
Viele werden ihm verfallen. In guter Zeit
CRACKHURE ZWEI
Schwester! Mir fällt auf, du bist zu früh!
CRACKHURE EINS
Zu früh? (schaut sich um) Wo ist er? Wo sind sie alle? Beim Hades, recht hast du! Zu früh! (stöhnt) Zeit ist so empfindlich! Menschenleben lang und kurz, sie beugen sich dem Wind wie Ähren, aber Zeit, oh, so empfindlich. Bevor sie sich beugt und verdreht, bricht sie lieber direkt.
CRACKHURE DREI, sich am Arm kratzend
Verfluchte Zeit!
CRACKHURE ZWEI, scharf
Pass auf was du sagst!
CRACKHURE EINS
Kommt, Schwestern, es ist nicht genug Zeit vergangen.
CRACKHURE ZWEI
Wann sollen wir drei uns wieder hier treffen?
CRACKHURE DREI
Wenn genug Zeit vergangen ist!
CRACKHURE EINS
Wenn genug Zeit vergangen ist!
CRACKHURE ZWEI
So sei es!
CRACKHURE EINS
Nun kommt, der erste Ziegel muss gelegt werden. Schaut, da kommt er schon.
CRACKHURE EINS, ZWEI, DREI ab.
Szene 9
THOMAS betritt von links die Bühne. Er schaut sich um, geht langsam zur Bühnenmitte.
THOMAS, flüsternd
Panther? He! Panther! Wo bist du denn? (Pause) (etwas lauter) Panther! Ich bin es! Thomas! Bist du noch da? (zu sich selbst) Ist der Kommissar zurückgekehrt? Hat er ihn mitgenommen? War es das mit Panther? Ach, ich wusste, ich hätte nie gehen dürfen! (schaut zum Publikum) Dieser Termin! Aber ich musste doch! Sonst ist es aus mit mir! Ah, dieses Gesicht, ich wünschte, ich hätte es nie bekommen. Frau Mama ist im Recht, immer im Recht. Aber die Dialoge! Ich habe nur einen geführt mit Panther, der wurde unterbrochen, ich war skeptisch, zögerlich, dabei ist gerade er so -
PANTHER erscheint hinter dem Müll. Er trägt eine Krone aus Pappe.
PANTHER
Ist was? Ist hier!
THOMAS, herumwirbelnd
Ah! Panther! An mein Herz! (umarmt Panther herzlich)
PANTHER, kühl
Ich dachte, du lässt mich stehen
THOMAS
Ich habe gesagt, ich komme wieder!
PANTHER
Ich habe dir nicht geglaubt.
THOMAS
Hier bin ich jetzt.
PANTHER
Das sehe ich.
THOMAS
Und ich gehe nicht mehr weg.
PANTHER
Wo warst du überhaupt, dass du so überstürzt gehen musstest?
THOMAS, peinlich berührt
Ich habe schon gesagt, ich hatte einen Termin.
PANTHER
Was für einen Termin, Thomas? Drucks doch nicht so herum.
THOMAS
Wollen wir nicht lieber einen richtigen Dialog führen?
PANTHER
Was meinst du, ist das hier? Komm, hab’ dich nicht so.
THOMAS
Es ist mir unangenehm.
PANTHER
Komm, flüster’ es mir ins Ohr, dann kriegt es sonst keiner mit.
THOMAS beugt sich zu PANTHER und flüstert ihm ins Ohr. Sobald THOMAS fertig gesprochen hat, springt PANTHER zurück.
PANTHER, schreiend
Eine Schönheitsoperation!?
THOMAS, erschrocken
He, nicht so laut!
PANTHER, leiser
Eine Schönheitsoperation!
THOMAS
Die Gerüchte sind wahr.
PANTHER
Aber warum? Warum?
THOMAS
Na, weil ich hässlich bin! Mein Gesicht ist eine Visage! Eine Fratze! Eine Schande der Blutlinie!
PANTHER
Und da lässt du es dir entfernen?
THOMAS, laut
Ändern! Ändern lasse ich es mir!
PANTHER
Musst ja nicht gleich so schreien!
THOMAS
Musst du gerade sagen! Wer weiß, wer das jetzt alles gehört hat!
PANTHER starrt eindringlich in Thomas’ Gesicht.
PANTHER
Was lässt du dir denn machen? Ich habe gar nicht realisiert, dass du so hässlich bist. Aber wenn du meinst…
THOMAS
Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich habe mich gerade beraten lassen. Der Arzt sagt - Ein Gesamtpaket ist immer eine Option, sagt er.
PANTHER
Gesamtpaket? Meinst du etwa - der Arzt - Meinst du, er könnte -
THOMAS
Drucks nicht so herum.
PANTHER
Es ist mir unangenehm.
THOMAS
Der Zug ist abgefahren.
PANTHER, fast flüsternd
Meinst du - meinst du, der Arzt könnte auch mich bearbeiten?
THOMAS
Wenn du einen Termin kriegst.
PANTHER
Mich zu einem echten Panther machen?
THOMAS
Ach so. Nein. Vielleicht. Unwahrscheinlich. Ich zweifle ja sogar, ob er mein eigenes Gesicht retten kann. Man sagt doch: Wahre Schönheit kommt von innen.
PANTHER
Tut sie das? Ich dachte, Schönheit liegt im Auge des Betrachters, und das Auge liegt außen.
THOMAS
Schönheit liegt uns zu Füßen, und sie ist zerbrochen. (geht auf den Müll zu und stupst ihn mit dem Fuß an. Hält inne, dreht sich rapide um zu Panther) Was ist mit der Krone? Wo kommt eigentlich die Krone her?
PANTHER, mit herausgedrückt Brust
Ich bin der Müllkönig.
THOMAS
Schon immer gewesen?
PANTHER
Vorhin erkannt, vorhin geworden.
THOMAS
Und über welchen Müll reden wir?
PANTHER schaut Thomas eindringlich und vielsagend an. THOMAS schaut zurück. THOMAS Blick bricht zuerst.
THOMAS
Ah. Ich verstehe. Ich akzeptiere. Ja, ich akzeptiere! Du bist der Müllkönig, und ich folge dir.
PANTHER
Endlich passiert einmal etwas! Wir zwei, wir können wirklich etwas bewegen! Am Rande der Gesellschaft sieht man die Menschen doch glatt am besten. Auch wenn wir - und solche wie wir - ewig in der Unterzahl sind. Versuchen werden wir es trotzdem.
THOMAS
So sei es. (Pause) Warte, Panther, was genau versuchen wir trotzdem?
PANTHER
Wir helfen denen, die im Abseits sind. Wir bauen uns eine Gruppe der Wenigen.
THOMAS
Kann das gelingen?
PANTHER
Wir sind keine Schicksalsgötter, sind wir? Die Zeit beherrschen wir nicht. Wir werden abwarten und es versuchen.
THOMAS
Gut. (Pause) Das war wieder ein guter Dialog, den wir da gerade hatten.
PANTHER
Danke, ebenso.
THOMAS
Es ist mir eine Ehre.
PANTHER
Auf viele weitere.
THOMAS
Auf viele weitere!
THOMAS und PANTHER geben sich die Hand.
PANTHER, verschwörerisch
Sag mal, weißt du eigentlich, wie ich uns zwei sehe?
THOMAS
Wie siehst du uns zwei?
PANTHER
Ich sehe uns zwei wie - wie zwei Reißzähne. Ja, zwei Reißzähne. Wir sind Reißzähne, du einer und ich einer. Und die nehmen sich, was sie brauchen, die sind wie eine Zange, die liegen vertikal zueinander. Bei jedem Biss treffen sie aufeinander. Sie funktionieren nur zu zweit. Sie sind immer zusammen. Die Reißzähne des Menschheitsgeschlechts. Das sind wir.
THOMAS
Das gefällt mir.
PANTHER
Mir sowieso.
THOMAS
Also auf!
PANTHER
Auf! - Auf Müllsuche.
PANTHER und THOMAS ab.
Vorhang.
AKT 2
Intermezzo
Ein etwas schiefes Klavier ertönt aus dem Off. Nach einem kurzen Augenblick sind außerdem Gesprächsfetzen aus dem Off zu hören.
PANTHER
Kann ich dich an einem Dialog interessieren?
Heda!
Mein Name ist Panther.
Dein Schaden soll’s nicht sein.
CRACKHURE 1
Wann sollen wir drei uns wieder hier treffen?
PANTHER
Aber ich bin keiner.
THOMAS
Aber du bist keiner.
KOMMISSAR
Er hat einen normalen Namen. Er heißt -
PANTHER
Heda!
Mein Name ist Panther. Kann ich dich an einem Dialog interessieren?
Das Klavier verstummt, das Ticken einer Uhr ist zu hören. Stille.
Szene 10
Vorhang auf.
Gleiche Szene wie zuvor; Müllcontainer zentral, ringsherum Müllsäcke. Der Container ist nun mit Pappstücken zu einer Art Thron umgestaltet. PANTHER sitzt auf dem Container, trägt eine Pappkrone auf dem Kopf. Er ist alleine. Er schaut ins Publikum.
PANTHER
Ich wurde von Außerirdischen entführt. (Pause) Ihr hört schon richtig. Außerirdische. Ich bin durch ein weites, saftiges Feld spaziert, umringt von großen Eichen und Buchen, majestätische Bäume, wirklich. Da war das Zirpen der Grillen. Das Rauschen des Elektrozauns in der Ferne. (Pause) Und ich. (Pause)
Plötzlich kamen sie. Blaue und rote Männchen. Lustig, oder? Lustig, dass ausgerechnet keine grünen und grauen Männchen dabei waren, sondern blaue und rote. Der Mainstream hat sich getäuscht. Das muss doch etwas zu bedeuten haben?
(Pause)
Aus dem Himmel kamen sie, landeten mit ihrer von Chrom glänzenden Flugmaschine mitten auf dem Feld, gleich vor meiner Nase, und nahmen mich mit. Ich habe mich nicht gewehrt. Wie wehrt man sich gegen Außerirdische? (Pause) Wenn man nicht weiß, wie jemand tickt, und was für eine Sprache er spricht, kann man sich auch nicht gegen ihn wehren. Ich kenne das sowieso ganz gut, in dieser Lage zu sein. Ihr kennt das auch.
NEUN ANHÄNGER betreten von beiden Seiten langsam die Bühne, stellen sich hinter und neben Panther. Zuletzt betritt DUMME PROFESSORIN die Bühne, bleibt links von Panther stehen.
PANTHER
Was wollten diese Außerirdischen aber von mir? Die wollten mich untersuchen. Das ist das Lustigste an der Geschichte: Die wollten wissen, wie der Mensch funktioniert, wie er tickt. Denen ging es so wie mir. Und da haben sie von den über acht Milliarden Menschen ausgerechnet mich erwischt. Mich! Panther! (lacht) Von all den Menschen haben sie mich als Standardexemplar gewählt, als Vergleichsexemplar! Urkomisch ist das. (lacht)
So habe ich es geträumt. Das muss doch etwas zu bedeuten haben?
DUMME PROFESSORIN
Gewiss muss da eine Bedeutung hinter stecken. Ich halte Träume für die Reflektion des Unbewussten, des Verdrängten, oder des Schattens, wenn man C. G. Jung folgen möge, und das hieße in diesem Fall - (kommt ins Stocken) Aber was weiß ich schon. (lässt den Kopf hängen) Ich bin zu dumm, ich weiß rein gar nichts.
ALTES KIND betritt von rechts die Bühne, stellt sich rechts neben den Container. Es ist etwa 12 Jahre alt.
PANTHER
Sprich nur weiter, du dumme Professorin, das klingt in meinen Ohren doch recht schlau!
DUMME PROFESSORIN
Mit Verlaub, Panther, dann musst du selbst nicht allzu schlau sein. Aber bei dir macht das ja nichts! Aber bei mir - was für eine Schande!
ALTES KIND
Wenn du erst in mein Alter kommst, Panther, werden dir die Träume vergehen. Dann siehst du klar: Was du nicht hast, das hast du nicht, und was du hast, das hast du, wobei es auch nicht viel sein wird. Ich sage gerne: Von nichts kommt nichts, aber von etwas kommt auch nicht viel. (lässt den Kopf hängen) Wenn ich nur etwas jünger wäre…
PANTHER
Heda, du altes Kind, ich finde ja, du hast die besten Jahre noch vor dir. Aber gut, von nichts kommt nichts, das kann nicht falsch sein. Interessant.
UNLUSTIGER CLOWN betritt von links die Bühne, stellt sich links neben den Container.
DUMMER PROFESSOR, an ALTES KIND gewandt
Ein Nihilist bist du also? Oder Existentialist? Ach, was sag’ ich, hör’ mir nicht zu, ich weiß es ja auch nicht.
UNLUSTIGER CLOWN
Existentialist? Da fällt mir ein: Wie nennt man das, wenn kein Haus mehr existiert?
PANTHER, voller VorfreudeLos, erheitere uns!
UNLUSTIGER CLOWN, zögerlich.
Ach, vergiss es einfach. Mir gefällt die Pointe nicht mehr. Ich bin so scheußlich unlustig, verdammt noch mal! (lässt den Kopf hängen)
PANTHER
Na gut, na gut, du unlustiger Clown. Aber eine illustre Runde ist das hier. Redet! Redet weiter! Ihr seid hier sicher, das wisst ihr doch! Unter Gleichgesinnten! Unter Abseitigen! Unter den Wenigen! Für den Dialog seid ihr gekommen, für den Dialog sollt ihr bleiben! Der Mensch ist eine Mine, und ich schürfe gern nach Erz. Redet! Redet!
Die NEUN ANHÄNGER, ALTES KIND, UNLUSTIGER CLOWN beginnen untereinander zu reden und zu tuscheln.
PANTHER, an DUMME PROFESSORIN gerichtet
Und du, du redest mit mir.
DUMME PROFESSORIN
Gerne! Gerne!
PANTHER
Also? Worüber? Sag an! Sag an! (springt zu Boden, um mit DUMMER PROFESSORIN auf Augenhöhe zu sein. Wirkt dabei wie ein Raubtier auf der Pirsch)
DUMME PROFESSORIN
(überlegt) Ah! Also, neulich habe ich einen außergewöhnlich seltsamen Text gelesen. Sag, Panther, liest du selber viel?
PANTHER
Nicht unbedingt. Die Zeitung habe ich letztens gelesen.
DUMME PROFESSORIN
Gut, egal. Das, was ich gelesen habe, hat große Wellen gemacht in Fachkreisen. Es war kein Roman - kein Drehbuch - nichts Ordinäres. Eine Art wissenschaftliche Zusammenstellung. Eine Fragmentation von dem, was sich irgendein völlig unbekannter Mann wohl gedacht haben muss. Eine Sammlung von losen Notizen und Ähnlichem, die man bei ihm im Haus gefunden hat. Sehr obskur sowieso.
PANTHER
Ich nehme an, dieser Mann war ein Exzentriker?
DUMME PROFESSORIN
Ein größerer als du.
PANTHER
Was soll das heißen? Bin ich exzentrisch?
DUMME PROFESSORIN schaut Panther vielsagend an.
DUMME PROFESSORIN
Jedenfalls war dieser Mann unter dem Namen des Herrn Hororibus bekannt -
PANTHER
Beziehungsweise unbekannt…
DUMME PROFESSORIN
Sag ich doch, sag ich doch. Überhaupt war der ganze Text sehr konfus. Ich habe bis zum bitteren Ende gelesen. Und dann habe ich in der Stille gesessen, in meinem schlecht beleuchteten Kämmerlein, und mich gefragt, was ich da gerade gelesen habe. Ich weiß es noch immer nicht. Ich bin einfach zu dumm, weißt du? Alle anderen haben irgendeine Meinung, eine Deutung zu diesem Textwust, bloß ich nicht. Ich bin ratlos! Ich bin einfach zu dumm, weißt du, viel zu dumm. Eine Schande ist das!
PANTHER
Heda! Ich glaube, meine Liebe, manche Dinge sind gar nicht dazu da, um verstanden zu werden. Sollen nicht verstanden werden.
PANTHER und DUMME PROFESSORIN schweigen sich eine Weile an, beide den Blick auf das Publikum gerichtet.
PANTHER
Nun gut. Aber wenn es doch wenigstens einen einzigen Menschen gäbe… Ein einziger Mensch, der etwas versteht, was man gar nicht verstehen soll…
DUMME PROFESSORIN
Was glaubst du, würde dann passieren?
PANTHER
Ich weiß es nicht.
DUMME PROFESSORIN
Deswegen frage ich ja, was du glaubst und nicht, was du weißt.
PANTHER
Heda, geschickt! Mal sehen. (kratzt sich am Kopf) Ich stelle es mir so vor: Dieser eine Mensch wäre zwar etwas Besonderes, aber er würde gar nicht wissen, wie besonders er ist. Es würde ganz viele andere geben, die zumindest versuchen, jene Sache zu verstehen. So wie bei deinem - Wie hieß er?
DUMME PROFESSORIN
Herr Hororibus.
PANTHER
Genau. Wie bei diesem Text. Alle Leser interpretieren das Gelesene - überhaupt! Wenn ein Mensch nicht interpretieren kann, ist er schon halb tot!
DUMME PROFESSORIN
Amen!
PANTHER
Also wüsste dieser einzelne Mensch nicht, dass er richtig liegt in diesem Chaos an endlos vielen Meinungen. Und er wüsste nicht, dass er sogar der Einzige ist. Es würde sich also, wenn so eine hypothetische Situation eintreten würde, überhaupt nichts ändern, ob nun ein einziger die richtige Interpretation hat oder eben nicht.
DUMME PROFESSORIN
Und das heißt dann: Es ist egal.
PANTHER, verwundert
Egal?
DUMME PROFESSORIN
Na, wenn es eben keinen Unterschied macht.
PANTHER
Im Kopf dieser Person macht es aber einen Unterschied. Vorher hat sie nichts gedacht und jetzt hat sie diesen ganz neuen Gedankengang.
DUMME PROFESSORIN
Ob das nun die richtige Interpretation ist oder nicht, das ist dabei aber doch egal! Hauptsache da ist irgendwas! Irgendeine Interpretation.
CRACKHURE DREI, aus dem Off
Falsch! Falsch, sage ich.
CRACKHURE DREI erscheint links auf der Bühne und kreuzt sie einmal. ALLE unterbrechen ihre Gespräche und beobachten sie eindringlich.
CRACKHURE DREI
Beide falsch! Ihr Leute habt einen Fehler gemacht! Ihr habt die Wörter “Verstehen” und “Interpretieren” vertauscht! Und “Mensch” und “Person” ebenso! Oder so ähnlich! Alles ist falsch! Stümper! (verschwindet rechts von der Bühne. Aus dem Off) Stümper, habe ich gesagt.
ALLE lauschen dem Gespräch von PANTHER und DUMMER PROFESSORIN.
DUMME PROFESSORIN
Was in allen Namen war das?
PANTHER, betreten
Ich fürchte, ich werde heimgesucht.
DUMME PROFESSORIN
Von ihr?
DUMME PROFESSORIN
Und ihren Schwestern.
DUMME PROFESSORIN
Was sind das für welche?
PANTHER, trocken
Die drei Crackhuren.
Während PANTHER das sagt, ertönt aus dem Off eine Handvoll schiefer Klaviernoten.
DUMME PROFESSORIN
Das erscheint mir - absurd.
PANTHER
Eben. Immer wieder tauchen sie auf und stören mich. Ärgern mich. Ich fürchte, sie werden mich zunichte machen.
DUMME PROFESSORIN
Muss man nicht einmal die Polizei rufen?
PANTHER, laut
Die Polizei! Bist du des Wahnsinns? Hast du nichts gelernt? Ausgerechnet die Polizei!
DUMME PROFESSORIN, bestürzt
Entschuldige! Ach, ich bin so dumm! (hält sich die Hände vor die Augen)
PANTHER, beschwichtigend
Heda, heda. Ist auch gleich. Wir schauen, wenn sie wiederkehren. Hoffentlich nicht bald. Also gut. Wo waren wir?
DUMME PROFESSORINIch weiß es gerade nicht.
PANTHER
Wir haben einen Dialog geführt.
DUMME PROFESSORIN
Natürlich. Aber worüber?
PANTHER
Das ist gar nicht wichtig.
DUMME PROFESSORIN
Ist es nicht? Meinst du nicht, es werden Informationen vermittelt?
PANTHER
Doch, doch. Aber anders.
DUMME PROFESSORIN
Du weißt, ich verstehe dich nie so richtig. Wir alle nicht.
PANTHER
In diesem Punkt verstehe ich dich wiederum sehr gut. Das weiß ich.
DUMME PROFESSORIN
Und woher willst du das jetzt wissen? Ah! Genau darüber haben wir doch geredet!
PANTHER
Kann schon sein.
DUMME PROFESSORIN
Es liegt dir nicht am Herzen?
PANTHER
Mir liegt der Dialog am Herzen. Der Dialog an sich. Die Idee des Dialogs. Das Konzept des Dialogs.
DUMME PROFESSORIN
Und warum, daraus werde ich nicht schlau, warum? Sicherlich, jeder nächste Mensch führt gerne ein gutes Gespräch mit einem freundlichen Gesicht. Ich doch auch! Aber wenn das Gesicht unfreundlich und das Gespräch schlecht ist, dann eben nicht. So ein Dialog kann auch schlecht sein. Nicht prinzipiell immer gut. Nein. Nicht aus Prinzip.
ALTES KIND, sich in den Dialog einmischend
Prinzipiell ist gar nichts gut.
UNLUSTIGER CLOWN, sich in den Dialog einmischend
Und selten etwas lustig. Ich zum Beispiel gar nicht.
PANTHER
Dass ihr das alle nicht versteht! Aber gut. Ihr kommt schon noch dahin - und tief in euch wisst ihr es, sonst wärt ihr nicht hierhergekommen, zu mir, in die Gasse. Wenigstens einer versteht mich - endlich, da kommt er!
Szene 11
THOMAS, aus dem Off
Panther!
THOMAS kommt von rechts auf die Bühne gerannt.
THOMAS
Panther! Ich bin zurück!
PANTHER
Mein Freund!
PANTHER und THOMAS umarmen sich freundschaftlich.
NEUN ANHÄNGER, DUMME PROFESSORIN, UNLUSTIGER CLOWN, ALTES KIND beginnen untereinander Gespräche.
THOMAS
Wie steht es?
PANTHER
Wir werden immer mehr!
THOMAS
Ich sehe es! Es freut mich!
PANTHER
Wir haben eine dumme Professorin, einen unlustigen Clown, hier ein altes Kind und manch andere Außenseiter. Und du, der hässliche Schönling, und ich, der pantherische Mensch, die sind wie wir! Es hat alles einen Zweck! Randerscheinungen der Gesellschaft! Die Wenigen! Unser Schaden wird es nicht sein.
THOMAS
Aber trotzdem sehe ich, etwas liegt dir schwer im Magen.
PANTHER
Du kennst mich zu gut! Eine war gerade eben hier.
THOMAS
Du meinst, eine Crackhure?
Eine Handvoll schiefer Klaviernoten erklingt aus dem Off.
PANTHER
Heda, sag’ ihren Namen nicht! Ich habe Angst, davon werden sie - angelockt.
THOMAS, besorgt
Du schwitzt ja!
PANTHER, hektisch
Sie verfolgen mich! Suchen mich heim! Sie wollen mich zunichtemachen! Aber warum, warum, frage ich dich!
THOMAS
Sie haben eben ihren Verstand verloren - Du musst sie ignorieren! Und dich beruhigen.
PANTHER
Ich versuche es, ich versuche es!
THOMAS
Gut, gut.
PANTHER atmet ein paar Mal tief ein und aus.
PANTHER
Mir geht es schon besser.
THOMAS
Sehr gut. Also hör’, Panther, ich habe eben jemanden aufgegabelt, der möchte zu uns.
PANTHER
Großartig! Sein Schaden soll es nicht sein. Wir werden immer mehr! Bei uns hat jeder einen Platz, der einen braucht. Eine Audienz also!
THOMAS
Eine Audienz. (zögerlich) Nur -
PANTHER
Na, was schon. Bringe dieses Individuum her!
THOMAS
Ich will nur sagen - schön.
THOMAS geht rechts von der Bühne, kehrt zurück mit KOMMISSAR.
Gespräche im Hintergrund verstummen.
KOMMISSAR schaut sich unsicher um und verbeugt sich vor Panther.
PANTHER
Mein Name ist Panther. Aber ich bin - (erkennt Kommissar, hält inne)
KOMMISSAR, nervös
Dem Müllkönig zum Gruß.
PANTHER
Wir kennen uns schon.
KOMMISSAR
Das stimmt.
PANTHER
Der Herr Kommissar ist also zurückgekehrt, um mich festzunehmen?
KOMMISSAR
Ich bin hier, um mich euch anzuschließen!
PANTHER, verwundert
Wie kommt denn das zustande?
KOMMISSAR
Ich bin Kommissar, wie du schon weißt. Aber ich fühle mich ganz unkommissarisch. Ich gehöre nicht nach da draußen! Habe ich vermutlich nie! Das habe ich jetzt erkannt. Eigentlich bin ich im Herzen - ein Anarchist. Ich bin kein Freund von Exekutivarbeit. Habt ihr nicht einen Platz hier, in dunklen Gassen? Einen Platz für mich? Und einen deiner Dialoge, um mich warm zu halten?
PANTHER
Ich sage dem Herrn Kommissar mal etwas.
KOMMISSAR
Gerne!
PANTHER
Es gibt eine Gesellschaft. Und in einer Gesellschaft gibt es Gesetze. Wer aber dagegen verstößt, passt nicht hinein. Ist kein voller Mensch, keiner von den Vielen da auf den Straßen. Wer vom Prinzip aus nicht ins Gesamtbild passt, gehört nicht hinein. Und alle, die Sie hier sehen, (zeigt um sich) passen nicht ins Bild hinein.
KOMMISSAR
Und ich ganz genau so. Ich stimme dir zu, wo ich doch Anarchist bin!
PANTHER, aufbrausend
Ich bin bloß selber überhaupt kein Anarchist! Lass mich fragen: Wie soll Anarchismus funktionieren, wenn man eine Gesellschaft haben will? Es braucht doch ein Recht! Ich weiß ja, dass das Recht recht hat. Manche aber gehören nicht nach da draußen. Eine Gesellschaft kann gar nicht existieren, wenn zum Beispiel einer wie ich da draußen herumstromert und gar nicht ins Gesamtbild passt. Weil es einen gemeinsamen Nenner geben muss! Ich aber habe nichts mit diesen anderen zu tun. Ist doch klar! Mir ist das klar! Deswegen habe ich mich ja freiwillig in die Ecke - in die Gasse drängen lassen beziehungsweise - mich selbst gedrängt. Präventiv, versteht sich. Ich opfere mich, das ist, was ich tue! Wir alle hier in dieser Gasse tun das!
THOMAS, verwirrt sich den Kopf fassend
Ich kann dir gar nicht folgen, Panther.
KOMMISSAR
Ich will mich auch gerne opfern!
PANTHER
Es reicht nicht aus, bloß ein Opfer zu sein. Schau doch nur! Was wir hier für Leute haben! Was seid ihr für Leute, meine Gefolgschaft?
PANTHER dreht sich zu NEUN ANHÄNGER, DUMME PROFESSORIN, UNLUSTIGER CLOWN, ALTES KIND um. Er bewegt seine Hände, als würde er sie dirigieren, während aus der Menge Stimmen rufen.
ANHÄNGER EINS
Mein kleiner Zeh ist größer als mein großer Zeh!
ANHÄNGER ZWEI
Ich sammle ausgestopfte Luchse und verkleide sie als Prominenz!
ALTES KIND
Ich habe die besten Jahre schon hinter mir!
ANHÄNGER DREI
Beim Duschen muss ich immer weinen!
ANHÄNGER VIER
Meine Wohnung ist bis zum Dach vollgestellt mit Propangascontainern!
PANTHER
He, meine auch! Haha!
DUMME PROFESSORIN
Ich bin eigentlich zu dumm, um Professorin zu sein!
ANHÄNGER FÜNF
Ich habe nie den Hype um die Serie “Friends” verstanden!
ANHÄNGER SECHS
Ich bin Sadist!
ALTES KIND
Sad- was?
ANHÄNGER SECHS
Sadist.
ALTES KIND
Ist was?
ANHÄNGER SECHS
Was?
ALTES KIND
Egal.
ANHÄNGER SIEBEN
Ich bin Anthropologe und weiß gar nicht, wie man dieses Wort schreibt!
UNLUSTIGER CLOWN
Ich finde meine Witze nicht lustig!
ANHÄNGER ACHT
Bei Horrorfilmen schlafe ich immer ein!
ANHÄNGER NEUN
Ich glaube nicht an den Klimawandel!
PANTHER
Und ich, ich bin ein Panther im Menschenkostüm. Gar kein richtiger Mensch! Wie gut, dass ich mich aus der Gleichung entfernt habe, nicht wahr, Herr Kommissar?
KOMMISSAR
Richtig! Richtig! Und so muss auch ich es tun.
PANTHER
Du bist Exekutor. Du tust, was du tust.
KOMMISSAR
Ich will es lassen.
PANTHER
Du kannst es nicht. Du darfst es nicht.
KOMMISSAR
Warum sagst du das?
PANTHER
Weil diese Arbeit wichtig ist! Wenn keiner mehr Polizist spielt, gibt es gar keine Grenzen mehr zwischen uns und den anderen! Das können Sie doch nicht ernst meinen, dass Sie das nicht sehen!
THOMAS
Ich muss sagen, auf mich macht er einen ehrlichen Eindruck.
KOMMISSAR
Ich bin ein veränderter Mann! Ich habe meine wahre Natur erkannt!
PANTHER
Heda, vielleicht ist es auch ganz anders und Sie lügen frei heraus! Eine Falle! Vielleicht wollen Sie gerne, dass ich hier sitze und wie ein Springbrunnen rede und rede, während Sie nicken und zuhören und mitschreiben. Und dann finden Sie irgendeine semantische Kleinigkeit, schreien Aha! und stecken mich in einen Käfig. Oder eine Zelle. Je nachdem, wie man mich sehen will - Mensch oder Tier. Das wäre besser, weil er dann wenigstens seine Arbeit ernst nähme, aber trotzdem: Ich bin gar nicht Teil der Gesellschaft und kann auch nicht einfach so festgenommen werden!
KOMMISSAR
Unfug!
PANTHER, listig
Was denn Unfug, dass ich nicht einfach festgenommen werden kann?
KOMMISSAR
Nein, alles!
PANTHER
Also denken Sie, Sie sind wirklich Anarchist.
KOMMISSAR
Hör’ endlich auf mich zu siezen! Ich bin wirklich Anarchist.
PANTHER
Umso trauriger. Komm, scheren Sie sich weg und tun Sie so, als wäre nie etwas gewesen. Setzen Sie Straftäter fest und halten Sie die Grenzen aufrecht! Die Grenzen in der Gesellschaft!
KOMMISSAR, bestürzt
Das ist mein Todesurteil! Ich kann das nicht!
PANTHER
Ich sage, es ist meine Entscheidung. (leiser) Außerdem kennen Sie meinen Namen. Das ist gefährlich für mich. Das bedroht meine Integrität.
KOMMISSAR
A-ha! Den Namen, den alten! Den habe ich schon glatt vergessen! Das schwöre ich auch!
PANTHER
Und ich sage: Scheren Sie sich weg, Sie Troll. Sie Mensch! Sie ehrenhafter Polizistenmann! Sie - vollwertiges Mitglied der Gesellschaft!
KOMMISSAR
Ich schwöre -
PANTHER
Fauch!
KOMMISSAR gibt auf, macht kehrt und verlässt die Bühne.
THOMAS
Da ist er fort und kommt nicht wieder. Wobei ich ihn aufgenommen hätte. Jemanden fortzuschicken macht den ganzen Sinn dieser Bewegung doch zunichte, oder?
PANTHER
Er ist eine Ausnahme. Sind wir überhaupt eine Beweg -
CRACKHURE ZWEI kommt von links auf die Bühne gesprungen.
CRACKHURE ZWEI
Er verstrickt sich tiefer in sein Netz!
PANTHER, erschreckt, sich ans Herz fassend
Aah! Schon wieder! Teufelsweiber! Von wem sprichst du!
THOMAS, stockend
Mich deucht, sie meint dich.
CRACKHURE ZWEI
Er ist nicht der Antagonist!
PANTHER
Und von wem sprichst du jetzt!
THOMAS, trocken
Mich deucht, sie meint den Kommissar.
CRACKHURE ZWEI
Er ist nicht der Antagonist!
PANTHER, nüchtern
Ist er nicht?
CRACKHURE ZWEI
Ist er nicht! In einer Woche wird er angetrunken einen Autounfall bauen und drei Tage danach im Krankenhaus sterben. Er ist auch nur ein Jemand. Ein Niemand. Ein Mensch. (kichert, springt nach links von der Bühne. Aus dem Off) Nur ein Mensch!
PANTHER
Der Teufel!
THOMAS
Es muss an meinem Gesicht liegen! Die Mutter, diese Hexe, hatte immer recht!
DUMME PROFESSORIN
Ich hätte mich mehr bilden sollen!
UNLUSTIGER CLOWN
Lustiger sein sollen!
ALTES KIND
Meine Zeit sinnvoll nutzen sollen!
PANTHER
Ich hätte ein ganzer Mensch sein sollen. Aber es geht nicht! Was sagen wir da! Es wäre unser Ende - ich muss mich ablenken. Wie könnte ich - wie könnte je einer von uns so sein? Ein ganzer Mensch? Ein normaler Mensch? Wir sind nicht so wie die! Wir sind die Wenigen! Und wir werden immer mehr! (Pause) Ich sehe ihn ganz deutlich vor mir. (ans Publikum gewandt) Da hinten steht er, der große Dazu-Gehörer! Aber ich bin nicht er. Ich bin abseits, außerhalb. Ich bin der kleine Gassengänger! Der Straßenmüll! Und dennoch - oder gerade deswegen - ein Reißzahn des Menschheitsgeschlechts. Und so verhält es sich auch mit euch. Ihr alle seid - (mit Nachdruck) die Reißzähne des Menschheitsgeschlechts.
Eine Weile schweigen ALLE nachdenklich.
DUMME PROFESSORIN
Wieder diese Metapher! Ich bin zu dumm, zu dumm, um sie zu verstehen!
THOMAS, verlegen
Ich muss fair sein, Panther - auch ich habe sie bis jetzt noch nicht verstanden.
PANTHER
Was! Wirklich? Auch du? Also gut. Da ist ein Mund, und der hat also Zähne, und manche Zähne sind (ringt mit den Worten) - na ja, die sind - und der Mund steht für - egal. Erzähl mir was!
Szene 12
PANTHER und THOMAS setzen sich im Schneidersitz auf den Boden.
NEUN ANHÄNGER, DUMME PROFESSORIN, UNLUSTIGER CLOWN, ALTES KIND beginnen untereinander Gespräche.
THOMAS, zögerlich
Also auf ein Neues. Also. Mal sehen. Stell dir einen Hochstapler vor. Das ist ein Kerl, dem man schon im Gesicht ablesen kann, dass er ein Hochstapler ist.
PANTHER
Okay.
THOMAS, Fahrt aufnehmend
Und jetzt stell dir vor, der Kerl ist in Wahrheit gar kein Hochstapler - die Gesichtszüge trügen! Er scheint nach außen einer zu sein, ist es aber in echt gar nicht.
PANTHER
Sowas!
THOMAS
Und jetzt muss man feststellen, dass der Kerl also doch ein Hochstapler sein muss, weil er ja über seine Natur als Nicht- Hochstapler gelogen hat.
PANTHER
Ah!
THOMAS
Der Kerl ist also ein Hochstapler, wie am Anfang gesagt. Bloß auf Umwegen.
PANTHER
Faszinierend. Und wie hoch kann der Kerl genau stapeln?
THOMAS
Was?
PANTHER
Ach, nichts.
PANTHER springt auf und läuft auf der Bühne auf und ab.
THOMAS
Was ist denn mit dir?
PANTHER
Ich bin unruhig.
THOMAS
Ich kann das sehen. (steht auf) Woran liegt das? (läuft Panther hinterher)
PANTHER, abrupt
Ich möchte nicht für eine Idee sterben, aber ich will noch viel weniger für Geld sterben. Also sagt mir: Wofür lohnt es sich zu sterben? Ich brauche schon einen guten Grund, ansonsten weigere ich mich.
THOMAS
Zu sterben?
PANTHER
Zu sterben.
THOMAS, zu sich selbst
Was ist in ihn gefahren? Fantasiert er? Er scheint mir so - verändert. So wirr. Ich verstehe ihn gar nicht.
PANTHER
Da war natürlich noch mehr, aber es würde bloß verstören. Ich möchte nicht davon reden.
THOMAS
Das ist doch kein Grund!
PANTHER
Sondern?
THOMAS
Eine Ausrede! Worüber reden wir denn überhaupt?
PANTHER
Wir reden, das ist doch das Wichtigste, oder nicht?
THOMAS
Sicher, sicher, ein Dialog eben.
PANTHER
Eben.
PANTHER bleibt stehen, THOMAS läuft beinahe in ihn hinein.
PANTHER, melancholisch
Habe ich dir eigentlich jemals erzählt, wie ich erkannt habe, dass ich ein Panther bin?
THOMAS
Tatsächlich nicht.
PANTHER
Dann möchte ich das gerne tun.
THOMAS
Unbedingt sogar. (zu sich selbst) Jetzt bin ich aber gespannt.
PANTHER
Also - (klettert auf den Containerthron)
ALLE verstummen, hören ihm andächtig zu.
PANTHER
Ich war vor all dem hier - bevor ich in der Gasse saß - bevor ich Fremde nach Dialogen fragte - bevor ich Panther war - was war ich? Trommelwirbel bitte. Danke. Ich war ein Lagerist in einer mittelgroßen Apotheke. Und in einer Existenzkrise. Meine Partnerin hatte mich verlassen - die Aktien gestürzt - der falsche Mann zum Bürgermeister gewählt - meine Haut pickelig - schlecht geschlafen, solche Dinge eben. Ich wusste nicht, was mit mir anzustellen war. Außerdem war mir langweilig und der Kühlschrank leer. Genau. So war das. Ich wurde von einem flüchtigen Bekannten darauf hingewiesen, dass ich mir doch einmal meine Zukunft sagen lassen könne. Gut, hab’ ich gesagt, gut, das mache ich mal. Und dann habe ich das gemacht. Zu einer Frau bin ich gegangen. Das war nicht einmal günstig. Aber es hat sich gelohnt. Eine weise Frau! Eine gute Frau! Die hat mir gezeigt, dass ich eigentlich ein Panther bin. Sie hatte Angst vor mir, müsst ihr wissen. Ich kam zu ihr ins Zelt -
THOMAS, aufhorchend
Ins Zelt?
PANTHER
Ja, auf einem Jahrmarkt war das. Da hatte sie ein eigenes Zelt aufgebaut. Und sie sah mich an und sprang auf und schrie, ja sie schrie, aus ganzer Kehle, etwa so -
PANTHER kreischt aus voller Kehle, mit möglichst hoher Stimme.
PANTHER
Dann nannte sie mich ein Wechselbalg -
THOMAS, misstrauisch
Was denn? Wirklich? Ein Wechselbalg, sagst du? (zu sich selbst) In mir wächst ein übler Verdacht!
PANTHER
Ich weiß nicht einmal, was das Wort bedeutet. Jedenfalls beruhigte sie sich etwas, ließ mich dann doch Platz nehmen, sich bezahlen, und das fürstlich, aber es war sehr verdient. Sie fing also damit an, mich eindringlich zu betrachten, meine Gesichtszüge und meine Augen auch, maß ein paar Distanzen nach und schrieb sich Zahlen auf - ihren genauen Prozess verstehe ich nicht, tut aber nichts zur Sache - gut, zuletzt der Schluss: Da war nichts richtig Menschliches, sagt sie, ich sei ein Raubtier. Kurzum: Ein Panther. Und weil ich doch sowieso schon feststellen musste, dass mein Leben nicht wirklich rund lief - die Apotheke, in der ich Lagerist war, ist abgebrannt, habe ich das schon erwähnt? Meine Schuld kann es nicht gewesen sein, niemals, das wäre ja das Allerletzte… Jedenfalls hat das für mich alles erklärt. Ich bin gar kein ganzer Mensch. Die Frau wollte mich nicht mehr sehen, weil ich doch eine Abscheulichkeit war - gut, geschenkt, verstehe ich, Junge, das verstehe ich gut. Also habe ich mich entsprechend angepasst. Ich denke, wenn ich nie bei ihr gewesen wäre, wäre es einfacher, aber die Wahrheit ist die Wahrheit, und sie ist gut so und ergibt Sinn für mich, und deswegen stehe, nein, sitze ich hier nun in der Gasse. Mit euch allen. Heiße Panther. Und führe Dialoge.
THOMAS, mit zusammengepressten Lippen
Und was sagst du noch gleich, war der Beruf dieser Frau? (zu sich selbst) Weh’ mir, wenn er sagt, sie -
PANTHER
Ich glaube, sie hat sich eine Gesichtsleserin genannt.
THOMAS stolpert rückwärts, greift sich das Herz.
PANTHER
Was! (springt vom Container, läuft zu THOMAS, um ihn zu stützen) Wieso?
THOMAS, schwächlich
Es ist - nichts - ich glaube - es geht schon.
PANTHER
Ich weiß, die Offenbarung hat mich ebenso schockiert, kannst du dir ja denken. Hey, Junge, du bist ein Panther und wohl bekomm’s, was ich da für ein Gesicht gemacht haben muss. Aber es nützt ja nichts, nützt alles nichts. Ich frag’ mich bloß, du wusstest doch schon, dass ich ein Panther bin?
THOMAS, nüchtern
Klar. Ich bin bloß eben eine sehr empathische Person.
PANTHER lässt ihn los.
PANTHER
Ein sehr Netter bist du nämlich.
THOMAS
Der Netteste. Hör’ mal, diese Frau, die Weise, du weißt nicht, wie die heißt?
PANTHER
Nicht.
THOMAS
Wie sah sie aus?
PANTHER
Was denn, bist du unter die Profiler gegangen? Oder meinst du, du kennst sie?
THOMAS
(zu sich selbst) Wenn er nur wüsste, was ich aufgedeckt habe… (zu PANTHER) Ich denke mir nur meinen Teil. Ich fürchte - ich glaube -
PANTHER
Was denn! Sag schon!
THOMAS
Ich muss einmal Nachforschungen betreiben.
PANTHER
Wozu denn das?
THOMAS
Ich kann es nicht sagen. Was sollen - sag - was wäre, wenn du erfahren würdest, dass du gar nicht - gar kein - Panther wärst? Ganz hypothetisch gesprochen, natürlich.
PANTHER
Heda, was für eine Frage? Ein Leviathan, den du da geangelt hast! Aber gut. Wenn das so wäre, wäre ich zunichte gemacht. Wenn du dich dann fragen würdest: ‘Wer ist Panther?’, und zu mir kämst, um nachzusehen, dann würdest du es sehen. Du würdest mit prüfendem Blick um mich herum gehen und feststellen, dass ich nicht viel mehr bin als ein Pappaufsteller!
THOMAS
Ein Pappaufsteller!
PANTHER
Ja, ein Pappaufsteller. Nenn’ ihn weiter Panther, von mir aus, aber da steckt nichts hinter! Das ist Schein ohne sein. Das ist ein Name ohne Bezugspunkt, ein entkerntes Gemäuer. Eine Hülse. Ein Nichts im Wind.
THOMAS
Interessant. Gut, also, ich muss nun gehen -
Szene 13
In der Gruppe der ANHÄNGER ist ein weibliches Kichern zu hören. Darauf folgt andauerndes schiefes Klaviergeplänkel.
PANTHER
Halt mich! Es ist soweit! (hält sich an THOMAS’ Arm fest, sodass dieser nicht gehen kann)
CRACKHURE DREI, inmitten der ANHÄNGER auftauchend
(Panther imitierend) Ha - ha - halt mich! M - Mami! Hahahaha!
CRACKHURE ZWEI, inmitten der ANHÄNGER auftauchend
Walle! Walle! Du bist alle! Hihihihihi!
CRACKHURE EINS, inmitten der ANHÄNGER auftauchend
Es hing ein König an ei’m Strick, die Blässe stand ihm mächtig schick.
Die DREI CRACKHUREN treten aus der Gruppe der Anhänger heraus in den vorderen Teil der Bühne. Die Klaviermusik verstummt.
CRACKHURE EINS
Aber was ist schon ein Antagonist, nicht wahr, wenn es einen Protagonisten gibt oder einen Antihelden, und Helden gab es nie, das weiß jedes Kind, aber böse Stiefmütter und einen Dämon in der Flasche und über allem das Damoklesschwert von -
CRACKHURE DREI, sich kratzend
Dem Jucken in meinem Blut!
CRACKHURE ZWEI
Dem Gefühl, auf dem Trockenem zu schwimmen!
CRACKHURE EINS
Zeit!
CRACKHURE ZWEI und DREI, gleichzeitig
Achso, Zeit. Natürlich, Zeit! Zeit!
CRACKHURE EINS
Überhaupt - wir wollen uns verneigen vor dem großen Panther Pantheris, neuerdings Müllkönig! Wir wollen ihm huldigen! Huldigen!
CRACKHURE ZWEI
Er wird uns doch wohl nicht ebenso abweisen wie den armen Kommissar vor uns?
CRACKHURE DREI
Das würde er sich nicht wagen!
CRACKHURE EINS
Schließlich bringen wir ihm nichts anderes als das, was er der ganzen Welt bietet - Wörter!
CRACKHURE ZWEI
Er ist immer so stumm, wenn er uns sieht.
CRACKHURE DREI
Und zieht immer so eine Schnute.
CRACKHURE EINS
Zum Anbeißen sieht er dann aus.
THOMAS stößt dem starren PANTHER in die Seite.
THOMAS, verlegen
Sag doch was.
PANTHER, stockend
Die drei Crackhuren seid ihr. (aus dem Off ertönen eine Handvoll schiefer Klaviernoten) Gut, hier habt ihr eure Audienz. Also seid auch ihr - Müll?
CRACKHURE EINS
Müll! Er ist so einer, der sich alles traut! Müll! Majestätsbeleidigung ist das! Ich sage dir jetzt mal was, Junge, und du hörst mir gut zu.
CRACKHURE ZWEI und DREI, gleichzeitig
Gib schon Ruh' und hör' ihr zu!
CRACKHURE EINS
Nur weil du denkst, du könntest dich selbst erniedrigen als Nicht-Mensch, als Wildkatze, als Müll, als Gassengänger, heißt das nicht, dass du das auch mit uns machen kannst! Nein, nein, nein!
CRACKHURE ZWEI
Nur weil du das super geil findest und total drauf stehst, heißt das nicht, dass diese Beleidigungen nicht für andere noch immer eine Beleidigung darstellen! Beleidigung!
CRACKHURE DREI
Und jetzt hast du uns beleidigt - und wir sind beleidigt. Beleidigt!
PANTHER, unterwürfig
Was kann ich tun!?
CRACKHURE DREI, unschuldig
Ach, weißt du, wenn du nur etwas Stoff für mich fändest-
CRACKHURE EINS
Stumm! Noch nicht! Ich rede erst. Ich schere mich nicht um Menschen wie euch, ja Menschen - ach, seid doch leise, ihr Menschen, ihr wisst doch selbst, dass ihr trotz alledem Menschen seid, keine Panther, kein sonst irgendwas, beim Teufel.
CRACKHURE ZWEI
Teufel! Teufel!
CRACKHURE EINS
Ihr könnt mir einen Gefallen tun, uns einen Gefallen tun -
PANTHER
Ja?
CRACKHURE EINS, aufbrausend
Und uns Zeit sparen, beim Teufel!
CRACKHURE DREI
Teufel! Teufel!
CRACKHURE EINS
Ich interessiere mich nicht für Menschen, nur für Zeit, immer für Zeit. Und du raubst sie mir gehörig! Du brauchst zu lange! Ihr alle! Raubt mir meine Zeit, als wär es eure! Als hätte sie keinen Wert! Wisst ihr überhaupt, was Wert ist? Wie man das konjugiert? Dekliniert? Buchstabiert? Jetzt ist Schluss, sag ich! Wir kürzen ab! Wir ziehen einen Strich, bis hierhin, bis hier und nicht weiter!
CRACKHURE DREI
Und dann hängen wir euch auf!
CRACKHURE ZWEI
Immer schön die Eichen rauf!
CRACKHURE DREI
Hört ihr schön zu?
PANTHER und THOMAS nicken benommen.
CRACKHURE EINS
Die Wahrheit kommt heraus. Warten ist langweilig. Hört also, was die Wahrheit ist, und nichts als die Wahrheit. (zu PANTHER) Panther, süßer Panther, du bist ein Mensch, ganz und gar, und kein Panther, nicht mal ein klitzekleines bisschen! Hörst du? Kein Panther! Ende, aus. Die Frau, die dir das eingeredet hat, ist eine Schrulle, die sich in Esoterik versenkt - sie reicht uns Schwestern das Wasser nicht ansatzweise! (lacht) Ach so: Außerdem ist sie Thomas’ Mutter! Da staunst du, oder? Zurecht! Thomas hier selbst hat eben das gerade schon zu vermuten begonnen. Ist das nicht lustig? Ich finde es ausgesprochen lustig. Er wird sie also bald holen gehen, um seinen Verdacht zu bestätigen. Sie wird missmutig kommen und dich gut anguckt und Thomas sagen: Den kenne ich. Dem habe ich den Panther eingeredet. Und dann bestätigt sich der Verdacht. Lustig oder?
CRACKHURE DREI
Super lustig! Lustig! Kriegen wir jetzt endlich Stoff? Endlich?
CRACKHURE EINS
Noch nicht, Schwester. (zu Thomas) Thomas, Junge, du gehst also diese These nachprüfen und stellst dann fest, dass auch du dich irrst. Irst! Du bist nicht wirklich hässlich, sondern durchaus ansehnlich.
CRACKHURE ZWEI
Wirklich ein saftiges Stück Fleisch! Ein Schönling!
CRACKHURE EINS
Weil die pseudowissenschaftliche Pseudomagie deiner Mutter dich als hässlich eingestuft hat, was keine Hand und keinen Fuß hat. So wie die Behauptung, Panther sei ein Panther! Uh, mach nicht so ein Gesicht! Die Wahrheit ist wie eine Zugluft! Warte nur erst, bis du mit der Zeit den richtigen Kontakt hast. Oh Junge, sag’ ich dir - ich komme vom Thema ab. Also, überhaupt (zu NEUN ANHÄNGER) trifft das ganze auch ähnlich auf euch zu, ihr Wenigen, die doch recht viele geworden sind! Haha! Ihr seid nicht so seltsam, wie ihr seid! Kein Widerspruch in Person! Keine Randerscheinung! Denn höret: Jeder Mensch ist seltsam -
CRACKHURE ZWEI
So seltsam!
CRACKHURE EINS
Und es gibt keinen normalen Menschen!
CRACKHURE DREI
Normal, wie langweilig!
CRACKHURE EINS
Und die Moral von der Geschicht’ - Pass auf, sonst fress’ ich dein Gesicht!
THOMAS und PANTHER weichen erschrocken zurück.
CRACKHURE EINS
Also, noch fragen? Nein? Wunderbar!
CRACKHURE DREI
Wunderbar!
CRACKHURE ZWEI
Halt! Nein! Nein! Noch mehr - wir beeinflussbar! Es gibt keinen Müllkönig! (lacht) (zu PANTHER) Bloß einmal wirst du so von uns genannt, und schon übernimmst du es? Glaubst es? Wie fatal! Zum Fremdschämen! Damit ist doch der Fall bewiesen? Wie du dich formen lässt? Wie könnte also der Panther wahrer sein als der Müllkönig? Und von den Reißzähnen sprechen wir gar nicht erst, oder?
CRACKHURE DREI
Von den Reißzähnen sprechen wir überhaupt gar nicht!
CRACKHURE EINS
Zum Fremdschämen! Hehehehe! Also bist du nun was? Ein Pappaufsteller? Los, meine Leute, meine lieben Leute, schert euch!
CRACKHURE ZWEI
Das war es jetzt, was wir noch sagen wollten. Sagen mussten.
CRACKHURE EINS
Das war alles. Er wird zufrieden sein. Wie immer.
CRACKHURE DREI
Und jetzt sind wir frei.
CRACKHURE EINS nimmt CRACKHURE ZWEI und DREI bei den Händen, sie bilden einen Kreis. Sie drehen sich. Aus dem Off erklingt schiefe Klaviermusik.
CRACKHURE EINS
Frei! Frei! Frei! Haha!
CRACKHURE ZWEI
Reißt euch! Reißt euch! Reißt euch! Reißt, sage ich, ihr Reißzähne! Hahahah!
CRACKHURE DREI
Immer im Takt, wie das schwingt! Hört ihr nicht das Blasorchester blasen? Hohoho!
CRACKHURE EINS
Möcht’ einmal nur ein Steinchen sein, dann wär’ ich nimmermehr allein!
CRACKHURE ZWEI
Panther Paule, sing’ mir brav, sonst wachst du morgen auf als Schaf!
CRACKHURE DREI
He-he! Ho-ho! Reißt euch - nein, das hatten wir schon. Hahaha!
Sie bleiben stehen, ziehen aus ihren Taschen Crackpfeifen, zünden sie an und ziehen einen kräftigen Zug daraus.
CRACKHURE EINS
Nur, dass ihr uns zugehört habt. Ihr seid alle normal, und du, Panther, bist kein - (mit völliger veränderter Stimme) Whoaaa.
CRACKHURE ZWEI
Was denn - whoaaaa.
CRACKHURE DREI
Endlichhhh.
CRACKHURE EINS
Das waren sie - die -
Aus dem Off ertönt eine langgezogene Reihe schiefer Klaviernoten.
CRACKHURE EINS verlässt langsam die Bühne rechts.
CRACKHURE ZWEI
Warte auf mich, Schwester!
CRACKHURE ZWEI rennt links von der Bühne.
CRACKHURE DREI steht kichernd auf der Bühne, schaut sich schließlich um, ergreift THOMAS, küsst ihn inbrünstig, geht dann rechts von der Bühne.
Eine schwere Stille legt sich auf die Bühne. ALLE schauen verwirrt um sich, als wüssten sie nicht recht, wo sie sind.
PANTHER
Ist er noch dran? (fasst sich an den Kopf) Da ist er!
THOMAS
Was haben wir gerade gehört? Kann das sein? Ist das alles wahr?
UNLUSTIGER CLOWN
Als wäre etwas gewesen…
DUMME PROFESSORIN
In der Luft…
ALTES KIND
Auf dem Friedhof…
PANTHER
Ungeheuerliches!
DUMME PROFESSORIN
Wildes Zeug!
ALTES KIND
Lügen, gewiss!
THOMAS, fassungslos
Sie haben uns die Zukunft gesagt. Als hätte sie alles schon gesehen…
UNLUSTIGER CLOWN
Unfug und Irrsinn! Gar nicht hinhören!
PANTHER
Heda, recht so! Wir wissen, was wir sind! Wir sind abseits und außerhalb.
DUMME PROFESSORIN
In einer Gasse!
ANHÄNGER EINS
Die Wenigen!
ANHÄNGER VIER
Die Abseitigen!
ANHÄNGER ACHT
Die Gassengänger!
ANHÄNGER NEUN
Der Müll!
NEUN ANHÄNGER, gleichzeitig
Jawohl!
PANTHER, UNLUSTIGER CLOWN, ALTES KIND, DUMME PROFESSORIN, NEUN ANHÄNGER wechseln Blicke und stimmen sich gegenseitig zu. THOMAS als einziger bleibt starr stehen und fährt sich durch die Haare.
THOMAS
Panther… ich wollte doch etwas sagen?
PANTHER
So? Was ist das?
THOMAS
Ich wollte sagen, ich muss weg… Nachforschungen anstellen.
PANTHERAchso… so. Dann mach das mal, Junge.
THOMAS
Ich kehre zurück. (zu sich selbst) Jedoch: Ich weiß doch schon, was passieren wird. Es wurde alles schon gesagt…Meine eigene Mutter…
THOMAS verlässt zügig die Bühne.
Szene 14
PANTHER
Natürlich kehrst du zurück, Thomas, mein lieber, süßer Thomas.
UNLUSTIGER CLOWN
Ich möchte etwas sagen -
PANTHER
Sag es zu mir.
UNLUSTIGER CLOWN
Wie nennt man wohl eine einzigartige Kuh?
DUMME PROFESSORIN
Ich muss mich vielleicht übergeben.
ALTES KIND
Wann war ich zuletzt auf einem Spielplatz, he?
Gemurmel unter ANHÄNGERN.
PANTHER
Clown, sag schon. Mach mich lachend!
UNLUSTIGER CLOWN
Ich - ich kenne gar keine Pointen. Es hat sich gar nichts geändert. Dräng mich nicht!
PANTHER
Überhaupt - es ist ein Ross entsprungen!
DUMME PROFESSORIN
Wohin denn?
PANTHER
Ich konnte es mir nie merken. Aber das tut nichts zur Sache.
ALTES KIND
Weil die Sache der Dialog ist? Der Dialog an sich?
PANTHER
Ganz genau, mein Kind.
ALTES KIND
Bin kein Kind! Bin ganz alt schon!
UNLUSTIGER CLOWN, plötzlich
Eine Muh-tation!
PANTHER
Was?
UNLUSTIGER CLOWN
Na, wie nennt man eine einzigartige Kuh? Eine Muh-tation!
PANTHER, es ignorierend
Solange Leute wie du und du und du und du und du und ich miteinander reden, solang nur das olympische Feuer des Dialogs brennt und brennt und weitergegeben wird wie ein ewiger Staffelstab, ja, so lange ist nichts verloren. So lange ist alles okay - zumindest okay genug. Die Welt ist ein großes Wirr, aber darin steckt trotz allem ein Wir.
Das Licht auf der Bühne wird langsam ein kleines bisschen heruntergedimmt.
DUMME PROFESSORIN
Das gefällt mir.
PANTHER
Heda, mir auch. Sonst hätte ich es nicht gesagt. Bloß bedacht, dass es mehrere Wirs geben muss, das sind wir hier, und da drüben die anderen. So muss das eben sein. (tiefes Seufzen) Mir ist so leicht plötzlich!
ALTES KIND
Wiegst ja auch nicht viel!
PANTHER
Auch in meinem Kopf - ein ungewöhnlich starker Drang zu - zu leben! Woher kommt das?
DUMME PROFESSORIN
Kann das vielleicht auf eine manische Phase hinweisen? Wobei - ich weiß doch auch nicht.
PANTHER
Bald könnte ich tanzen und singen! Ach, aber das habe ich schon.
UNLUSTIGER CLOWN
Ein tanzender Panther?
PANTHER
Da kannten wir uns noch nicht. Das war vor eurer Zeit. In einem anderen -
PANTHER schaut nach rechts jenseits der Bühne, reißt die Augen weit auf und zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger in dieselbe Richtung.
PANTHER, erschrocken
He!
NEUN ANHÄNGER, gleichzeitig
Was?
PANTHER
Schaut nur! Da hinten!
DUMME PROFESSORIN
Was ist es?
PANTHER
Da! Seht ihr ihn nicht? Heda, weg mir dir! Seht ihr ihn denn nicht?
ALTES KIND
Es wird schon dunkel, da vorne ist erst recht schlechtes Licht, und meine Augen sind nicht mehr die besten. (quengelnd) Also sag schon! Sag! Was ist da? Was ist da?
PANTHER
Ein wilder Köter! Straßenhund! Eine Bestie, so einen großen Hund habe ich selten gesehen! Und er schleicht sich da hin - listig, wie er ist - der heckt was aus. Angst macht der mir, Angst, der Höllenhund, der große! Und wenn es nur das wäre! Aber - oh Graus! - Er ist nicht alleine! Da, wenige Meter von ihm entfernt, sitzt halb liegend ein Schemen, ein Mann! Ein Betrunkener muss das sein, die Flasche selbst im Delirium fest umklammert! Er schnarcht - er riecht nach Blut - der Hund muss ihn gewittert haben! Ah!
UNLUSTIGER CLOWN, angespannt
Was?
PANTHER
Gerade eben dreht er seinen Kopf! Ich sehe eines seiner Augen, groß und furchteinflößend, nur für einen kurzen Moment, aber lang genug! Darin steht nur eines, eines allein: Der hat Hunger, der Höllenhund, und das Opfer liegt bereit! Ja! Seht ihr nicht, wie er geradewegs auf den Säufer zugeht? Und so groß - so groß - das ist bald kein Hund, sondern ein - ein - ist es möglich? - ein Wolf! Nein! Ich kann kaum hinsehen! (Pause) Aber ich muss! Tut denn keiner was? Sabber tropft ihm schon aus der Schnauze, lange, weiße Fäden, während er das unregelmäßig atmende Fleisch vor sich beguckt. Jetzt beugt er sich langsam vor, bleckt die Zähne, sie blitzen auf und - Ah! Zu spät! Vorbei! - Er senkt sie hinab, vergräbt sie im Hals des Menschen da, der so betrunken ist, dass er nichts mitbekommt von seinem Ende - Nanu?
DUMME PROFESSORIN, höchst gespannt
Was? Was tut er nun?
PANTHER
Er hält inne! Inne hält er, nur einen Augenblick und - mich trifft der Schlag - schaut mich an, schaut direkt zu mir! Diese Augen! Intelligente Augen sind das - wird er auf mich zuhetzen? Mich jagen? Alle auf die Bäume! Aber nein, halt, er schaut nur! Schaut ganz geduldig und zeigt seine Zähne - sie glänzen so - zeigt seine Reißzähne, rasiermesserscharfe, strahlend weiße (mit viel Betonung) Reißzähne! (Pause) - jetzt wendet er sich wieder seiner Beute zu! Grausam! Schrecklich! Und keiner tut was! Alles zu spät! Mit seinen Zähnen reißt! Reißt! - Reißt das Fleisch entzwei! Scharlachrotes Blut spritzt und läuft und läuft! Er regt sich nicht! Der Säufer ist tot, das Biest genügt sich damit, sein Hunger galt nicht dem Fleisch, sondern dem Leben an sich, und das hat es sich genommen! Schon geht es von dannen, ist schon verschwunden. (packt sich ans Herz) Mein Herz!
Langes, betretenes, schockiertes Schweigen.
PANTHER, zu sich selbst
Das Reißen - das Reißen der Wölfe. (Pause) Aber es ist egal. Das Tragische ist das Lustige. Das Tragische ist das Lustige. Das Tragische ist das Lustige. Es ist tragisch, aber deswegen ist es auch lustig, und weil es lustig ist, kann es nicht tragisch sein.
ALTES KIND, ruhig
Was sagst du?
PANTHER
Einen Monolog. Das muss manchmal sein. Auch wenn es nur wenige Sätze sind.
DUMME PROFESSORIN, ruhig
Aber Dialoge sind besser, oder nicht? Vertue ich mich nicht?
PANTHER, nachdenklich
Ja. Dialoge sind besser.
UNLUSTIGER CLOWN, ruhig
Deswegen sind wir hier. Bei dir.
Das Licht auf der Bühne wird langsam noch etwas heruntergedimmt.
PANTHER
Es wird Nacht. Bleibt ihr auch bei mir?
NEUN ANHÄNGER, gleichzeitig und langsam
Wir bleiben bei dir.
PANTHER, glücklich
Ihr bleibt bei mir! Ihr bleibt bei mir. Wir Wenigen. Wir Glücklichen. Das sind wir. Die, die abseits sind. Die Wenigen. Die, die in der Mitte keinen Platz haben. Es ist besser so. Oder?
ALLE nicken.
PANTHER
Also. Dann bin ich beruhigt. Weil nie irgendwas umsonst war. Jetzt schlafen wir. Dort, wo wir hingehören. Und morgen wird es weitere Dialoge geben. Weil es sonst niemand tut, werden wir sie führen. Ja, wir werden sie führen, die Dialoge. Und ich finde, das muss irgendetwas zu bedeuten haben.
PANTHER legt sich zum Schlafen auf den Boden vor den Container. Die improvisierte Krone nimmt er vom Kopf, hält sie eng umschlungen in den Armen. NEUN ANHÄNGER, UNLUSTIGER CLOWN, ALTES KIND, DUMME PROFESSORIN legen sich um den Container herum, in ausreichend Abstand zu PANTHER. Sie schlafen. Keiner rührt sich.
Szene 15
THOMAS, aus dem Off
Komm schon! Stolpere nicht so langsam herum!
GESICHTSLESERIN, aus dem Off, missmutig
Hey! Pass auf mein Pendel auf! Nicht so grob!
THOMAS, aus dem Off
Grob sagt sie! Jetzt komm schon!
GESICHTSLESERIN, aus dem Off
So behandelt man seine Mutter nicht!
THOMAS, aus dem Off
Was meinst du? Redest du - vom Reißen?
THOMAS tritt von links auf die Bühne, zieht hinter sich GESICHTSLESERIN her. Sie ist behangen mit dicken Halsketten verschiedener Farben und einem Pendel.
THOMAS
Darüber sind wir schon lange hinweg - ich habe es bloß jetzt erst verstanden.
GESICHTSLESERIN
Was ist denn in dich gefahren? Wie du mir fast die Tür eingetreten hast!
THOMAS
Schweig! Weißt du, ich dachte immer, du bist eine Hexe…
GESICHTSLESERIN, entrüstet
Sakrileg! Ich bin eine Gesichtsleserin, das ist was ganz anderes! Das ist eine wahre Wissenschaft, kein okkulter Firlefanz von Vorgestern, das weißt du doch, höchst wissenschaftlich. In den Gesichtszügen einer Person lassen sich nun einmal ganz deutlich die Charaktereigenschaften ablesen -
THOMAS
Nur einmal sei leise, nur einmal! Nein, ich weiß, du bist keine Hexe, ich weiß es jetzt sicher, wo ich doch echte - (stockend) egal. Nun. Du musst mir etwas beweisen. Du erinnerst dich an alle deine armen Kunden, die du ausbeutest -
GESICHTSLESERIN
Ihnen die Wahrheit sage ich! Wahrheit hat ihren Preis! Du weißt das doch gut genug, Sohn, du kennst doch dein Gesicht, deine Entstellung…
THOMAS, zähneknirschend
Ich kenne, ich weiß, ich habe lange genug darunter gelitten. Aber die Gesichter prägst du dir gut ein?
GESICHTSLESERIN, stolz
Ich kenne sie alle, wenn ich sie sehe, darauf schwöre ich beim Saturn. Oh ihr Sterne, führt mich fort -
THOMAS
Lass das. Hör zu. Hier müsste einer sein - er schläft - ich glaube, er war einmal bei dir - ob du ihn erkennst?
GESICHTSLESERIN
Wenn er bei mir war, werde ich ihn erkennen.
THOMAS
Gut, hier vorne - psst - (leiser) hier schläft er.
GESICHTSLESERIN
Weck’ ihn doch, den Burschen!
THOMAS
Ich mag nicht. Ich weiß schon sowieso, was du gleich sagen wirst. Du musst es trotzdem einmal tun.
GESICHTSLESERIN
Wie heißt er denn?
THOMAS
Das weiß ich nicht.
GESICHTSLESERIN
Zu schade, wo ich doch die Namen dokumentiert habe (zückt ein kleines zerfleddertes Notizbuch) Hier habe ich sie alle stehen. Und die Diagnose gleich dazu.
THOMAS
Nun geh’ halt näher und schau, mehr musst du nicht, ich bitte dich nur noch um dieses eine, dann nie nichts mehr, mach es schnell!
GESICHTSLESERIN steckt das Notizbuch weg und schleicht unbeholfen an den schlafenden PANTHER heran. THOMAS hält den Atem an. GESICHTSLESERIN beugt sich ganz nah über den schlafenden PANTHER, verharrt so einen Moment, schleicht dann zurück zu THOMAS
THOMAS, nervös
Und?
GESICHTSLESERIN
Mhm.
THOMAS
'Mhm' was?
GESICHTSLESERIN, flüsternd
Ich kenne ihn, ich kenne ihn, natürlich kenne ich ihn, ihn erst recht vor allen anderen! Von all den Leuten bringst du mich zu ihm! Du Wechselbalg, was spielst du für Spiele mit mir? (zückt das Notizbuch und blättert wild) Ganz genau. Er ist der - weißt du es nicht - der eine, dem ich einen Panther im Antlitz gelesen habe? Der Nicht-Mensch!
THOMAS, resolut, die Hände zu Fäusten geschlossen
Er war also Kunde bei dir? Du hast ihm den Panther offenbart?
GESICHTSLESERIN
Natürlich, natürlich. (zeigt auf das Notizbuch) Hier steht er und hier steht sein Name. Willst du ihn nicht wissen?
THOMAS
Den Namen? Seinen echten Namen? (Pause) Die Versuchung ist groß… Panther nennt er sich jetzt. Und er hält in der Gasse seine Dialoge, immer fort, spricht Fremde an und bietet ihnen seine Dialoge an. Die pantherischen Dialoge. (Pause) Allein, er denkt sich nicht viel dabei. Oder zu viel. Und jetzt ist klar - alles ist Lug und Trug. Er hat das von dir, du aber hast gar keine Kräfte. Panther ist kein Panther, in keiner Faser seines Seins. Und somit bin auch ich - bin auch ich nicht hässlich.
GESICHTSLESERIN
Was sprichst du für wirres Zeug, Junge?
THOMAS
Die blanke Wahrheit. (aufgeregter) Die Wahrheit, weißt du? Sie wurde mir schon gesagt! Ich kenne sie schon! Überhaupt: Ich habe drei - Damen getroffen. Die hatten Kräfte, da schlackerst du mit den Ohren! Du hast da gar nichts zu melden! Es ist befreiend. (noch aufgeregter) Man muss nicht gleich alles über sich selbst glauben, was einem gesagt wird. Ich bin nicht hässlich! Ich bin neu geboren! Ich bin nicht abseits und am Rande, sondern mitten drinnen! Ich muss mich nicht in Gassen drängen! Und Panther ebensowenig! Er kann gehen - ist frei - kann zurück zu seinem Leben als - was war es? Lagerist in einer mittelgroßen Apotheke! (zögerlich) Ist - frei?
GESICHTSLESERIN
Hast du dir den hässlichen Kopf gestoßen?
THOMAS, energisch
Jetzt ist gut, scher dich fort, scher dich zum Teufel oder sonst wo hin! Wie viele Leben hast du mit Annahmen, deinen falschen Annahmen ruiniert?
GESICHTSLESERIN, entrüstet
Ho! Ein Wahnsinniger! Ein Frevler! Endlich zeigst du dein wahres Gesicht, was sogar noch hässlicher ist! Undankbarkeit! Du willst nicht den alten Namen von diesem deinem Panther wissen?
THOMAS, kühl
Nein.
GESICHTSLESERIN
Wirst du auch niemals nicht! Das Pendel sagt, du bist verloren. Ich gehe. Auf nie mehr.
GESICHTSLESERIN stampft nach rechts von der Bühne.
THOMAS, resolut
Nein, den Namen will ich nicht. Ich brauche ihn nicht! Panther ist nicht Panther! Jedoch - ich werde es ihm nicht sagen. Ich habe ihn kennenlernen können - und was für ein Mensch er ist! Aber manche Menschen brauchen ihre Ideen dringender als die Wahrheit. Panther ist nämlich doch Panther - und was wäre er ohne sich? Ich bin kein Töter, kein Zerstörer. Ich will, dass Panther lebt, und wenn er denkt, es geht ihm gut, er gehört hier in die Gasse - dann ist das auch so. Auch wenn es nicht so ist. Ich aber - ich bin nicht hässlich.
THOMAS dreht sich unschlüssig um zu den Schlafenden. Er seufzt, geht einmal zum linken Bühnenrand, dann zum rechten Bühnenrand, kommt wieder in der Mitte zum Stehen.
THOMAS
Das ist also alles. Ich muss gehen. Ich will gehen, ich werde gehen. Alles ist eine Lüge. Und ich bin gar nicht so hässlich, wie sie mich hat glauben lassen. Wie ich mich selbst habe glauben lassen. Umso besser. Wahrnehmung ist subjektiv - die Definition von Normal ist es auch. Und somit irrelevant. (Pause) Ich spüre, ich muss noch etwas sagen.
(räuspert sich) (mit viel Pathos) ‘Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals’ - warte, nein, das passt nicht. Aber irgendwas muss ich noch sagen, habe ich das Gefühl. Obwohl es eigentlich nutzlos ist. Es wurde doch schon alles gesagt! He, ich fühle mich so seltsam. Was kommt über mich? (fasst sich an die Stirn, dann steht er kerzengerade)
Während THOMAS das Gedicht vorträgt, spielt im Hintergrund langsam Klavier. Die Noten sind nicht schief.
Mir scheint, es gibt nicht DIE Lektion.
Kommt Zeit, kommt Rat - was heißt das schon?
Den Eindruck, das man anders sei,
hat jeder, er ist einerlei.
Kein Hexenzirkel, Schicksalsgott,
führt dich, den Menschen, zum Schafott.
Nur du allein kannst selbst dich richten,
Schluss, aus - ich höre auf zu dichten.
THOMAS schaut sich verwirrt um, als käme er zu Bewusstsein, zuckt dann mit den Schultern.
THOMAS
Wo auch immer das jetzt herkam. Egal. Es ist einerlei. Was ich sagen wollte - was ich mir dachte - der Bindekleber der Gesellschaft ist doch die Gemeinsamkeit der Spezies. Das ist der Mensch. Kein Panther und kein Hässlicher, kein laufendes Paradoxon, die Liste ist endlos. Ich bin ein Mensch - und alle anderen auch. Keine Vielen, keine Wenigen. Oder wenn überhaupt, sind die Wenigen die Vielen. Wenn nicht sogar Alle. Das wurde doch wirklich schon alles gesagt? (Pause) Gut, ich mache es kurz und bringe es schnell hinter mich. Ich habe noch nie bemerkt, wie außerordentlich es in dieser Gasse stinkt. Ich muss da raus in die Straßen, wo alle anderen sind. Wo man ernsthaft lebt!. Heh. Ich hoffe, da ist überhaupt noch irgendjemand. Nicht, dass sie sich mittlerweile alle in ihre Gassen verkrochen haben. (lacht) Lasst es uns also herausfinden. Und genau darum geht es doch. Oder nicht? Na also. Gut.
THOMAS steht still und schaut geradewegs ins Publikum. Nichts passiert.
THOMAS, sich räuspernd
Wo hin also? Hier lang?
THOMAS bewegt sich zögerlich Richtung linker Bühnenrand.
CRACKHURE 1, aus dem Off
Andere Seite!
THOMAS, verlegen
Oh. Achso. Na also.
THOMAS geht zum rechten Bühnenrand, bleibt einmal noch stehen, dreht sich um zum schlafenden PANTHER, nickt langsam. Dann verlässt er die Bühne.
Vorhang.